Durchgelesen und Abschied genommen – Teil 204
- berndhinrichs
- vor 2 Stunden
- 2 Min. Lesezeit

Abschied als leiser Prozess
In letzter Zeit beschäftige ich mich viel mit der Frage, was es bedeutet, Abschied wirklich zu akzeptieren – nicht als dramatischen Moment, sondern als etwas Leises, das sich langsam in unser Leben schiebt. Ob große Ereignisse oder kleine Veränderungen: ein Leben, das endet, eine Routine, die endet, eine Aufgabe, die wegfällt, ein vertrauter Rhythmus, der plötzlich nicht mehr da ist. Beim Lesen von Frode Gryttens Der letzte Tag des Fährmanns habe ich genau diese Art von Abschied wiedergefunden. Der Roman erzählt ihn ohne Pathos, ohne große Geste.
Der Fährmann und der Verlust seiner Aufgabe
Frode Gryttens Der letzte Tag des Fährmanns erzählt die Geschichte von Nils Vik, einem Mann, der sein Leben lang mit seiner kleinen Fähre die Menschen über einen norwegischen Fjord gesetzt hat. Seine Arbeit ist schlicht, verlässlich und fest verbunden mit dem Rhythmus der Natur. Doch nun wurde eine Brücke gebaut – und mit ihr verliert Nils nicht nur seine Aufgabe, sondern auch einen wesentlichen Teil seiner Identität. Der Roman begleitet ihn an einem einzigen Tag: dem Tag, an dem er für sich beschließt, dass dies auch sein letzter Lebenstag sein soll. Während er mit der Fähre hinausfährt, denkt er zurück – an Routinen, Begegnungen, verpasste Chancen, Nähe und Distanz. Grytten erzählt diese Rückblicke in ruhigen, knappen Szenen, die eher Beobachtungen sind als große dramatische Momente.
Was bleibt, wenn etwas zu Ende geht?
Im Zentrum steht die Frage, was bleibt, wenn ein Mensch sein Lebenswerk beendet sieht. Nils’ innere Haltung schwankt zwischen Akzeptanz und einer stillen Trauer über das, was unvermeidlich vergangen ist. Der Fjord, die Landschaft und das Wasser bilden einen konstanten Gegenpol: ruhig, weit, zeitlos.
Die Kraft der stillen Momente
Der Roman verzichtet bewusst auf große Wendungen. Er konzentriert sich stattdessen auf eine leise, fast kontemplative Atmosphäre und zeigt ein Leben, das sich in kleinen Routinen und unscheinbaren Entscheidungen abgespielt hat. Gerade darin liegt seine Wirkung: Der Text lässt Raum für eigene Fragen über Lebensaufgaben, Vergänglichkeit und die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung.
Liebe, Erinnerung und Verlust
Auf seiner letzten Fahrt nimmt Nils die Menschen mit an Bord, die ihn begleitet haben – die sein Leben bestimmt und beeinflusst haben. Im Zentrum all seiner Gedanken: Marta. Die Frau, die er liebte, die vor ihm gestorben ist. Grytten schildert die Liebe zwischen Nils und Marta sehr intensiv. Nicht durch große Worte, sondern durch kleine Gesten, gemeinsame Augenblicke und ein Gefühl von Verbundenheit, das selbst im Verlust weiterklingt. Diese feinen, stillen Momente zwischen Nils und Marta sind es, die dem Roman seine tiefste Melancholie geben.
Ein Buch für die stille Jahreszeit
Der letzte Tag des Fährmanns ist ein stiller Roman. Bestens geeignet für die dunkle Jahreszeit, mit einem warmen Tee und ungemütlichem Wetter vor der Tür. Ich gebe zehn von zehn Wohlfühlpunkten.



Kommentare