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berndhinrichs

Durchgelesen und Afrika entdeckt– Teil 77


Endlich mal wieder einen Nobelpreisträger gelesen. Ich glaube, der letzte war im vergangenen Sommer Thomas Mann. Und nun Abdulrazak Gurnah, dem die Ehre 2021 zuteilwurde. Gurnah nimmt uns mit in sein Geburtsland Tansania – ehemals Schutzzone Deutsch-Ostafrika. Im Mittelpunkt seines 2020 erschienenen Romans stehen vier Menschen: Ilyas, Afiya, Hamza und Khalifa. Alle vier sind eng miteinander verwoben. Anhand ihrer Schicksale durchleben wir die schmerzvolle Geschichte Tansanias vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu seiner Unabhängigkeit 1961. Ilyas verlässt mit elf Jahren seine Familie. Er wird von Soldaten verschleppt. Jahre später – mittlerweile ein freier Mann – trifft er in einer nicht näher bezeichneten Küstenstadt auf Kahlifa. Die beiden schließen Freundschaft und Ilyas findet Arbeit und ein auskömmliches Leben. Er macht sich auf die Suche nach seinem Elternhaus. Findet aber nur noch seine jüngeren Schwester Afiya, die wie eine Sklavin leben muss. Er befreits sie und gemeinsam kehren sie zu Kahlifa zurück. Das Glück scheint vollkommen, bis Ilyas sich freiwillig für den Krieg meldet. Er bleibt verschollen, stattdessen taucht nach dem Krieg Hamza auf und verliebt sich in Afiya.

Gurnah ist ein großartiger Erzähler. Seine Charaktere sind plastisch und realistisch. Es gibt drei Stellen in dem Buch (ich möchte nicht sagen wann), wo ich tatsächlich Gänsehaut hatte. Dabei ist seine Sprache schnörkellos, leicht verständlich und vermutlich gerade deshalb sehr eindringlich. Trotz aller Barbarei in den Kolonien kommt das Buch ohne beschriebene Brutalität aus – das ist mir besonders aufgefallen. Aber gerade durch seine nicht wertende Sprache, seine sachlichen Beschreibungen hat das Buch eine Grausamkeit und hält uns Europäern in tiefer Eindringlichkeit einen Spiegel vor. Gurnah moralisiert nicht, er fordert einen bedingungslosen Humanismus ein ohne erhobenen Zeigefinger. Er zeigt unerträglichen Rassismus, setzt aber gleichzeitig in diese Dunkelheit eine kleine Kerze mit Namen „Menschlichkeit“ – ergreifend ohne Pathos.

Wer Lust auf ein afrikanisches Land und seine Wurzeln im 20. Jahrhundert hat, dem lege ich den Roman ans Herz. Wer die Probleme Afrikas immer noch nicht verstanden hat, dem verordne ich das Werk als Pflichtlektüre. Ich hatte die Ausgabe bei der Büchergilde Gutenberg. Die Reihe „Büchergilde Weltempfänger“ präsentiert Literatur aus Asien, Afrika, Lateinamerika oder Asien. Der Buchhändler Eures Vertrauens wird Euch aber sicher gerne die Ausgabe von Pinguin Books bestellen. Ich gebe zehn von zehn Askaris.

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