Durchgelesen und übers Leben geweint – Teil 171
- berndhinrichs
- 5. Apr.
- 2 Min. Lesezeit

Bücher, die mich zum Lachen bringen gibt es einige. Aber Bücher, die mich zum Weinen bringen – und zwar nicht, weil sie so schlecht geschrieben sind – sind sehr viel seltener. Mit Hard Land gelang dieses Meisterstück zuletzt dem deutschen Autoren Benedict Wells. Nun habe ich den fünf Jahre vorher erschienenen Roman Vom Ende der Einsamkeit gelesen. Hält er, was der Name Wells mittlerweile verspricht?
Der Roman erzählt die Geschichte von drei Geschwistern – Jules, Marty und Liz – die nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern als Kinder in ein Internat gesteckt werden. Dort entfremden sie sich zunächst voneinander und gehen unterschiedliche Wege. Jules, der jüngste der Geschwister, leidet besonders unter dem Verlust und zieht sich immer mehr in sich zurück. Aus dem kindlichen Draufgänger wird ein in sich zurückgezogener Teenager. Dabei wird seine Kindheitsfreundin Alva zu einer zentralen Figur in seinem Leben. Sie ist seine beste Freundin und sein Navigationsgerät durch die Wirren des Erwachsenwerdens. Doch wie bei seinen Geschwistern verliert er auch sie aus den Augen. Jahre später findet er sie wieder. Mittlerweile lebt sie in der Schweiz und ist mit einem Schriftsteller verheiratet. Was ist aus der Liebe geworden?
Es verwundert nicht, dass John Irving, der große Erzähler, über den Roman geschrieben hat: „Und was unter der Feder von Benedict Wells aus Jules und Alva wurde, ist große Erzählkunst“. Denn in Wells finden wir Irving. Wells begleitet seine Protagonisten von ihrer Kindheit bis sie schließlich in den 50ern sind. Er benötigt dafür etwas mehr als 350 Seiten. Ein großer Unterschied zu Irving, der daraus einen knapp 1.000 Seiten starken Roman fabuliert hätte. Ob die Reduzierung dem Roman nun gutgetan hat oder ob ich mich noch gerne viel länger in die Lebensgeschichten von Jules, Marty und Liz verloren hätte? Schwer zu sagen, denn einerseits habe ich die knackige Kürze der Geschichte gemocht, aber andererseits hätte ich gerne einfach noch viel mehr über Jules, Marty und Liz gelesen. Denn alle drei Geschwister, jeder auf seine Weise, tragen schwer an der Vergangenheit und suchen nach ihrem Platz im Leben. Besonders beeindruckend ist, wie Wells die verschiedenen Lebenswege und Krisen der Figuren miteinander verwebt. Jede Figur hat ihren ganz eigenen, schmerzhaften Weg, mit dem Verlust umzugehen, und dennoch bleibt die Verbundenheit untereinander spürbar.
Aber ich tue dem Roman unrecht, wenn ich ihn ausschließlich mit Irving vergleiche – obwohl ich das auch schon bei Hard Land getan habe. Wells liefert eine dichte Geschichte, die ans Herz geht. Und ja, ich habe auch wieder geweint. Das Schicksal von Jules und Alva rührt zu Tränen, ohne dabei kitschig zu sein. Wells schildert nicht nur das Leben der drei Geschwister, er schildert das Leben insgesamt. Mit seinen Tiefschlägen, seiner Verzweiflung, seiner Trauer, seiner Liebe und seiner Hoffnung. Trotz der tiefen Traurigkeit, die den Roman durchzieht, gibt es immer wieder Momente der Hoffnung und des Lichts. Vom Ende der Einsamkeit ist nicht nur eine Geschichte über den Schmerz des Verlusts, sondern auch über die Möglichkeit, nach und nach ins Leben zurückzufinden – über die Kraft der Liebe und die Bedeutung von Familie und Freundschaft.
Ich würde den Roman jedem empfehlen, der sich gerne mit einem Buch einschließt und komplett in eine Geschichte abtauchen möchte und gebe satte 10 von 10 Romanows.
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