Joseph Conrad wird fast ausschließlich als guter Erzähler von Abenteuerromanen wahrgenommen. Damit tut man ihm Unrecht, wie auch „Die Schattenlinie“ aus dem Hanser Verlag belegt. Der bibliophile Band enthält neben dem namensgebenden Roman auch noch die kurze Erzählung „Der geheime Teilhaber“. Natürlich spielen beide Geschichten auf Schiffen. In „Die Schattenlinie“ bekommt ein junger Mann sein erstes Kommando und hat gleich mit dem Ausbruch eines Sumpffiebers und Flaute zu kämpfen. Ich spüre beim Umblättern die unglaubliche Hitze im Südchinesischen Meer, mich erdrückt die Schwüle und die unglaubliche Last, für meine Männer zu sorgen. Denn Conrads schnörkellose und direkte Sprache lassen mich unmittelbar mit an Bord gehen. Und wie der junge Käpt’n, der auf seiner ersten Fahrt erwachsen wird, ängstigt mich mein Erster Offizier, Mr. Burns. Eine seltsame Gestalt, die Conrads da entwickelt hat – Wahnvorstellungen inklusive. Aber eben auch typisch für ihn, der in seinen Geschichten immer wieder komische Vögel in den Mittelpunkt stellt. So auch bei „Der geheime Teilhaber“. Einer Geschichte, in der es um einen Mörder geht, der von einem Käpt´n als blinder Passagier versteckt wird. Conrads Analyse der Charaktere in beiden Geschichten ist bestechend. Seine Schilderungen vom Leben an Bord stammen, wie bei Hermann Melville, aus erster Hand, denn wie Melville fuhr Conrads viele Jahre selber zur See. Und wie Melville schrieb Conrads eben nicht nur Abenteuergeschichten – beispielsweise der Roman „Die Schattenlinie“. Ich würde hier auch eher von einer Novelle statt von einem Roman sprechen. Denn einerseits passt die Länge des Textes besser zur Novelle und das Werk hat mit der düsteren Sturmnacht auch noch einen klassischen Wendepunkt, wie ihn Novellen erfordern. Überhaupt diese Sturmnacht: Die Bezüge zur katholischen Mythologie und der Karwoche, in der in den Kirchen Kreuze verhüllt und Kerzen gelöscht werden ist offensichtlich. So macht Conrads einfach Lust auf mehr, sei es als spannende Abenteuer- und Seefahrtgeschichte oder auf tieferen Deutungsebenen. Ich gebe zehn von zehn Südwester.
berndhinrichs
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