Jährlich landen zwischen März und Oktober über 200 Kreuzfahrer in Kiel an. Gerne zwei bis drei Schiffe täglich, die in der Regel morgens um 8 Uhr anlegen und abends um 18 oder 19 Uhr wieder ablegen. Das sind über den Daumen so zwischen zehn bis 15.000 Touristen, die da mal für einen Tag in die Stadt gespült werden. Massentourismus. Für mich wäre das nichts. Mir würde es nicht gefallen, in einem der großen Pötte von einem Ort zum nächsten zu schippern – mit all den anderen Passagieren. Nur eine Ausnahme würde ich machen. Und zwar wenn ich rund 100 Jahre in die Vergangenheit reisen könnte. Einer dieser alten Luxusdampfer, mit viel Schnörkel und Luxus. Das wäre was für mich. Als Gast in der 1. Klasse natürlich – elitär und auf dem Weg in wenig bekannte Länder. In seinem Buch „Principessa Mafalda“ nimmt uns der Schweizer Stefan Ineichen mit auf genau solch eine Reise. Er beschreibt – und das verspricht auch der Untertitel – die „Biographie eines Transatlantikdampfers“: eben der „Principessa Mafalda“. Das Schiff reiste zwischen 1909 bis 1927 unzählige Male die Strecke von Genua nach Südamerika.
Ineichen stellt in seinem Werk, das ursprünglich im Wagenbach Verlag erschien und das ich in der Ausgabe der Büchergilde Guttenberg vorliegen habe, die Geschichte des Schiffes und seiner Passagiere vor. Wir lernen Emigranten kennen, auf dem Weg in ein neues Leben, Treffen in der ersten Klasse Harry Graf Kessler und klönen über Kunst und Literatur mit ihm, mit Felix Weingartner und Richard Strauss palavern wir über Opern und lernen auf den Promenadendecks eine Reihe von italienischen Intellektuellen kennen. Ineichen beschränkt sich nicht darauf uns Schiff, Mannschaft und Passagiere vorzustellen. Er füllt alles mit Leben, in dem er in die Geschichte des Schiffes die Biographien seiner Gäste verwebt. Wir erfahren beispielsweise, warum Weingartner und Strauss eine Fede hatten, erfahren von den Schicksalen der Emigranten, vor, während und nach der Schiffsreise. Am eindrücklichsten sind aber die Biographien der italienischen Schriftsteller und Theaterleute, teils Faschisten, teils Sozialisten – und alle verwoben mit Mussolini und seinen Schwarzhemden. So gelingt Ineichen viel mehr als die Biographie eines Schiffes. Er beschreibt die italienische Gesellschaft in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts. Dafür muss er sich aber an der einen oder anderen Stelle sehr weit von dem Schiff und seinem Schicksal entfernen. Kritisieren kann man hier vielleicht, dass er mitunter zu weit ausholt und das Schiff für den Leser am fernen Horizont verschwindet. Langeweile kommt dabei indes nicht auf, und diese Betrachtungen sind auch notwendig, um die schwierigen gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen.
Eine Person, die als Namenspatronin des Schiffes immer wieder auftaucht ist Mafalda, Prinzessin von Savoyen, aus dem italienischen Königshaus. Ineichen blickt in kurzen Spots auf ihr Leben und zieht gekonnt Parallelen zum Transatlantikdampfer. Durch ihre Heirat mit Philipp von Hessen war Mafalda eng mit der deutschen Geschichte verbunden. So schildert Ineichen ihre Übersiedlung ins Deutsche Reich, stellt ihre sehr guten Beziehungen zu Göring und Hitler da, um schlussendlich von ihrem tragischen Ende 1945 im KZ Buchenwald zu berichten, wo sie während eines Bombenangriffs ums Leben kam.
Da war die „Principessa Mafalda“ längst Geschichte. Sie sank im Oktober 1927 vor der brasilianischen Küste. Vieles an dem Unglück ist bis heute mysteriös, wie der genaue Hergang, die Zahl der Opfer oder warum es so viele Opfer gab, obwohl ausreichend Schiffe zur Aufnahme der Passagiere bei bestem Wetter zur Verfügung standen. Ineichen versucht hier Licht ins Dunkel zu bringen. Vielleicht die beiden stärksten Kapitel des Buches. Bis heute liegt der Luxusliner in rund 1400 Metern Tiefe irgendwo auf dem Grund des Südatlantiks – sein Wrack wurde bis heute nicht gefunden.
Ich gebe neun von zehn Rettungsringen.
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