Durchgelesen und schön geträumt – Teil 181
- berndhinrichs
- 15. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen

Frau Beate und ihr Sohn war mein erster langer Text von Arthur Schnitzler – und er hat Lust auf so viel mehr gemacht. Mit Traumnovelle aus der Inselbücherei habe ich mir den zweiten Text vorgenommen. Ich war sehr gespannt, zumal die Novelle von Stanley Kubrick als Eyes Wide Shut verfilmt wurde.
Bei Arthur Schnitzlers Traumnovelle steht das Wiener Ehepaar Fridolin und Albertine im Mittelpunkt, deren scheinbar gefestigte Beziehung durch ein offenes Gespräch über verborgene Begierden erste feine Risse bekommt. Sie schwärmt von einem Offizier, der sie im letzten Urlaub an der See anstarrte und er schwärmt von einem 15jährigen Mädchen, der Schönheit ihn gefangen nahm. Was folgt, ist eine surreale Odyssee: Fridolin stürzt sich in eine Nacht voller Verlockungen, Versuchungen und unerfüllter Wünsche. Er begegnet Prostituierten, Fremden und einer geheimnisvollen Maskengesellschaft, die düsterer und gefährlicher ist, als er zunächst ahnt. Nichts scheint mehr sicher – weder die Moral, noch seine Identität, noch seine Ehe.
Schnitzler nimmt uns mit auf einen wilden Ritt durch eine Nacht. Dabei bedient er so viele sexuelle Fantasien und Wünsche, das dem Leser schier schwindelig wird. Die große Kunst des österreichischen Schriftstellers besteht darin, das seine Novelle zu keinem Zeitpunkt ins klischeehafte abrutscht. Seine Erlebnisse in der Maskengesellschaft ist ein schöner Beleg dazu. Schnitzler spielt mit dem Gedanken von Sex mit völlig fremden Menschen, einzig aus der Erregung heraus, ohne Gefühl, Lust pur. Das schildert er in so wundervoller Sprache, so stilvoll, dass uns Nachgeborenen jeder Vergleich zu den plumpen Dating-Portalen im Internet oder die Treffen in Swingerclubs verboten ist.
Über Schnitzlers Traumnovelle zu schreiben ohne den Film Eyes Wide Shut zu erwähnen ist unmöglich. Das Werk von 1999 mit Nicole Kidman und Tom Cruise in den Hauptrollen hält sich sehr eng an die literarische Vorlage von 1926, transferiert sie aber in das New York Ende des 20. Jahrhunderts. Der Film ist ok, kann aber die feine Art des Erzählens, die feine Erotik des Buches nicht halten. Das ist den Zeitumständen geschuldet, in denen beide Werke entstanden. Da mag jeder seine eigenen Vorlieben haben.
Während des Lesens zumindest habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wie Schnitzler diese Traumlandschaft enden lassen wird. Wann werden wir erfahren, was Traum und was Realität ist. Fridolin von den Ereignissen der Nacht völlig überfordert fragt seine Albertine, nachdem er ihr alles gestanden hat, was sie nun tun wollen. „Demütig sein“ ist ihre Antwort. Und auf seine Frage, ob nun alles in Ordnung sei: „Beinahe“, sagte Albertine, „aber wir wollen versuchen, die Augen offen zu behalten – und nicht vergessen – so viel wir auch in Zukunft einander schuldig sein mögen – dass wir wach sind – vielleicht – für lange.“ Was für ein Paukenschlag am Ende. Der völlig erschöpfte und verwirrte Fridolin fällt in die Arme seiner Albertine. Und sie tröstet, nimmt ihn auf und gibt doch am Ende einen Ausblick, dass es nicht ganz so ist, wie er es sich wünscht: „…vielleicht – für lange.“ Großartig. Die Germanisten und Leser danken es ihm bis in alle Ewigkeit.
Schnitzler ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass stilvolle Literatur und gut zu lesen nicht zwei gegensätzliche Pole sind. In Zeiten in denen vor allem junge Mädchen und Frauen immer mehr das traditionelle Buch entdecken und über die neue „Romance-Welle“ ans Lesen kommen, sollte es doch möglich sein, sie für Schnitzler begeistern zu können. Ich würde es mir so wünschen.
Natürlich ist die Ausgabe der Inselbücherei ein optischer und haptischer Genuss. Die Illustrationen von Egon Schiele fügen sich harmonisch in den Grundton der Novelle ein. Satte zehn von zehn
コメント