Durchgelesen und auf See gearbeitet - Teil 194
- berndhinrichs
- 28. Sept.
- 2 Min. Lesezeit

Am Meer mit einem Buch
Während ich diese Zeilen schreibe, blicke ich auf das Ionische Meer, das im Licht der Vormittagssonne glitzert. Sofort spüre ich die Faszination, die das Wasser bei mir auslöst. Ursprung des Lebens, tief, unergründlich und voller Leben. Da ist es fast schon zwingend, dass Texte, die sich mit dem Meer befassen, ganz oben auf meiner Leseliste stehen. Ganz aktuell habe ich vom irischen Autoren Colum McCann den Roman Twist gelesen.
Handlung und Figuren
Twist erzählt die Geschichte des irischen Journalisten Anthony Fennell, der den Auftrag erhält, über die Reparatur von Unterseekabeln zu berichten. Dafür reist er nach Kapstadt und schließt sich der Georges Lecointe an, einem Kabelreparaturschiff, das beschädigte Leitungen vor der westafrikanischen Küste instand setzen soll. An Bord trifft er auf John Conway, den irischen Missionschef des Schiffes, dessen rätselhafte Ausstrahlung sowohl Bewunderung als auch Unsicherheit hervorruft. Während Fennell den Alltag und die technischen Herausforderungen der Crew beobachtet, wird deutlich, dass Conway ein kompliziertes Innenleben verbirgt. Eine zentrale Rolle spielt Zanele, eine Schauspielerin aus Südafrika, die in einer Beziehung zu Conway steht. Ihr Leben wird durch einen Anschlag erschüttert, der nicht nur ihre eigene Existenz verändert, sondern auch Auswirkungen auf Conway und Fennell hat. Im Verlauf der Mission werden Brüche und Geheimnisse sichtbar, sowohl in den persönlichen Beziehungen als auch im Umgang mit der Umwelt und der Arbeit. Als Conway spurlos vom Schiff verschwindet, bleibt unklar, ob es sich um einen Unfall oder eine bewusste Entscheidung handelt.
Der zähe Anfang
Der Vorlauf in Kapstadt hat mich ehrlich gesagt gelangweilt. Ich wollte aufs Schiff, ins Herz der Geschichte – doch McCann hält uns dort zu lange hin. Da half auch der Besuch privat bei Conway nicht viel. Er hat eine kluge Frau und beide umgibt das eine oder andere Geheimnis, das perfekt inszeniert wurde.
Stoff für Interpretationen
Der Roman liefert so viele offensichtliche und versteckte Interpretationsansätze, dass ich fast geneigt bin, ihn als Lektüre für den Englischunterricht vorzuschlagen. Da ist zum Beispiel der Job von Conway. Er repariert Tiefseekabel, die für ein schnelles und weltumspannendes Internet sorgen. Gleichzeitig sind ihm die sozialen Medien verhasst. Diese Ablehnung verstärkt sich noch, als seine Frau einem Anschlag zum Opfer fällt, der den Schlusspunkt eines Shitstorms markiert.
Joseph Conrad als Schattenfigur
Salman Rushdie hat über den Roman gesagt: „Der Geist Joseph Conrads schwebt über dem Text, doch hier liegt das Herz der Finsternis auf dem Grund des Ozeans.“ Treffender kann es nicht formuliert werden. In der Tat sehe ich viele Parallelen zu Conrad. McCann hat die gleiche psychologische Tiefe, lässt seine Charaktere Freiraum und gibt ihnen eine geheimnisvolle Aura. Dazu kommt noch die abgeschlossene Gesellschaft an Bord eines Schiffes. Alles Zutaten, die den Roman auszeichnen.
Fazit
Trotz seines Meerbezuges ist Twist für mich kein Strandbuch, keine leichte Lektüre für zwischendurch. McCann sucht und findet ein spannendes Psychologiespiel an Bord eines Schiffes. Aus meiner Sicht hätten wir die Georges Lecointe viel schneller entern können, aber so wurde ja auch irgendwie die Spannung gesteigert. Ich gebe neun von zehn Flussmündungen.
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