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Durchgelesen und aus Paris geflohen – Teil 166

berndhinrichs



Von der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf heißt es, sie habe gesagt: Jedes Buch verlangt seine eigene Stimmung – und man muss den richtigen Augenblick abwarten, um ein Buch zu lesen. Klasse! Recht hat sie. Genau das war mein Dilemma mit Getäuscht von Juri Felsen. Ein Roman, der in jeder Hinsicht nach einem Meisterwerk klingt. Denn Felsen entführt uns nach Paris in den 1920er-Jahren. Mehr musste ich in der Buchhandlung gar nicht lesen und war schon auf dem Weg zur Kasse. Dass es um eine toxische Beziehung unter russischen Migranten geht, habe ich schon gar nicht mehr wahrgenommen.


Juri Felsen, ist das Pseudonym des 1894 in St. Petersburg geborenen Nikolai Freudenstein. Nach seiner Emigration 1921 ließ er sich in Paris nieder und wurde in Frankreich zu einem der führenden Schriftsteller seiner Generation. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurde er gefasst und in das Konzentrationslager Drancy gebracht. 1943 deportierte man ihn nach Auschwitz, wo er ermordet wurde.


Getäuscht ist ein Roman in Tagebuchform. Der russische Verfasser, der in dem ganzen Roman namenlos bleibt, lebt als Emigrant in Paris. Er soll sich um die schöne Ljolja kümmern – ebenfalls russische Migrantin. Was als Faszination beginnt, entwickelt sich schnell zu Liebe. Ljolja will aber nicht ihren Lebensstil ändern und die Tagebucheinträge zeugen vom Schmerz des Verfassers.


Felsen ist ein echter Wortakrobat. Im Vergleich mit ihm arbeitet Thomas Mann mit Stakkato-Sätze. Felsen wälzt sich in Satzkonstruktionen, schweift ab, greift seinen Hauptgedanken wieder auf, schweift neuerlich ab, um dann nach endlosen Schachtelsätzen zum Abschluss des Satzes zu kommen. Und genau da lag das Problem für mich. Der Text verlangt dem Leser alles ab: absolute Konzentration und völliges Eintauchen in die Erzählweise. Dazu bin ich aber aufgrund vielerlei äußerer Umstände aktuell nicht in der Lage. Spätestens nach dem zweiten Abschweifen, war ich gedanklich weg. Ich habe seine Satzkonstruktionen zu Ende gelesen, ohne zu wissen, wie er eigentlich startete und worum es geht. So habe ich mich rund 9 Tage durch die ersten 60 Seiten gequält - das hat das Werk nicht verdient.


Getäuscht von Juri Felsen ist bei mir aktuell durchgefallen. Aber der Plot und auch die Sprache dürften mich zu einem anderen Zeitpunkt voll in ihren Bann ziehen – nur eben nicht aktuell. Denn Jedes Buch verlangt seine eigene Stimmung. Ich gebe deshalb leider nur fünf von zehn gesellschaftlichen Konventionen.

 
 
 

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