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Durchgelesen und den neuen Kehlmann entdeckt – Teil 100



Für mich bis heute eine der spannendsten Fragen seit 1945: Wie weit durften sich Künstler der NS-Diktatur andienen? War Leni Riefenstahl eine Nationalsozialistin? Handelte Ferdinand Marian amoralisch, als er bei „Jud Süß“ mitspielte? Warum wurde Heinrich George interniert und Gustav Gründgens durfte auch in der Nachkriegszeit große Erfolge feiern? Wieso suchte Heinz Rühmann die Nähe zur NS-Führungselite und Hans Albers mied sie wie der Teufel das Weihwasser? Im Kern geht es immer wieder um die gleichen Schicksale: Deutsche Künstler, die ihr Heil nicht in der Flucht suchten, sondern sich mit dem Deutschen Reich arrangierten.



Daniel Kehlmann geht in seinem neuen Roman „Lichtspiel“ – erschienen im Rowohlt Verlag – diesen Fragen nach, indem er das tragische Schicksal des österreichischen Filmemachers G. W. Pabst erzählt. Der gefeierte Regisseur aus Stummfilmzeiten befand sich im Januar 1933 in Frankreich zum Drehen und floh nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler nach Hollywood. Glücklich wurde er unter der Sonne Kaliforniens allerdings nicht. Sein einziges Filmprojekt schlug fehl und floppte in den Kinos. In der Traumfabrik konnte er nichts mehr erreichen. Hinzu kam, dass seine Mutter, die noch in Österreich, das mittlerweile Ostmark hieß, lebte, dringend einen Pflegeplatz brauchte. In Pabst entstand die Idee, für eine kurze Zeit in seine Heimat zurückzukehren und dann etwa in Frankreich neu durchzustarten. Was für eine naive Fehleinschätzung der gesamtpolitischen Lage – dennoch reiste er mit seiner Familie. Noch während er Platz in einem Pflegeheim für seine Mutter suchte, brach der Krieg aus und eine Rückkehr in zivilisierte Länder damit versperrt. Propagandaminister Goebbels bot ihm wieder an Filme zu machen. Und schon sind wir zurück an der Ursprungsfrage: Wie weit darf sich ein Künstler verbiegen, um seine Kunst weiter auszuführen?



Kehlmann spürt in seinem Roman dieser Frage nach. Er zeichnet den Weg von Pabst nach und arbeitet seine Konflikte heraus. Dabei verwebt er geschickt Fiktion und Realität miteinander. Er lässt die Größen der deutschen Filmindustrie der 1930er und 40er-Jahre auftreten: Heinz Rühmann, Bernhard Minetti oder Leni Riefenstahl. Und jeder muss sich von dem Schriftsteller fragen lassen: Bist Du ein anständiger Mensch geblieben? So harsch seine Kritik an der Riefenstahl durch ihre Darstellung im Roman herauskommt, so zurückhaltend ist Kehlmann in der Bewertung von Pabst selbst. Er skizziert ihn als einen Künstler, der vor allem eines wollte: Filme machen. So ist die Frage nach Kunst, Macht und dem schönen Schein eine spannende Frage, die sicherlich nicht ganz beantwortet werden kann.


Es ist sicherlich hilfreich ein Filmlexikon beim Lesen neben sich zu haben oder dafür zu sorgen, dass zumindest Zugriff auf Wikipedia besteht. Denn der Autor führt uns an der Nase herum. Nicht jede Person, nicht jedes Ereignis ist verbürgt. Kehlmann nutzt die Lücken in der Geschichtsschreibung geschickt aus. Dennoch fördert er viele Geschichten zu Tage rund um den deutschen Film der 30er- und 40er-Jahre.



Ein wundervolles Buch – nicht nur für Filmliebhaber. Wenn nicht noch viel kommt für mich das Buch des Jahres. Ich gebe zehn von zehn Komödianten.





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