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berndhinrichs

Durchgelesen und die Welt entdeckt – Teil 144




Vor ein paar Tagen hatte ich eine spannende Diskussion über führende intellektuelle Köpfe in Deutschland. Es hat mich schon ziemlich schockiert, dass da allen Ernstes Richard David Precht genannt wurde. Die Mär von den Dichtern und Denkern in diesem Land gilt leider nicht mehr. Denn einen wie Alexander von Humboldt, Universalgelehrter, gibt es nicht mehr. Einen Menschen, der alles erforscht und untersucht hat, was ihm unter die Finger kam. Wer sich etwas genauer mit dem 1769 geborenen Forscher befasst, kann nur fasziniert sein, von seinem unglaublichen Willen und Wissensdrang. Er war der erste, der Begriffe wie Klimaveränderung durch Menschen oder Umweltschutz beschrieb. Eine mehrfach ausgezeichnete, wenn auch nicht brandneue Biographie über Humboldt kommt von Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. Passend zu seinem Geburtstag, den er gestern, am 14. September feiern könnte, stelle ich dieses Buch vor.


Wulf gliedert ihr Werk in fünf Abschnitte. Im ersten wird Humboldts Leben vor seinem Aufbruch nach Südamerika geschildert. Im zweiten geht es ausführlich und spannend um seine Südamerikareise. Im dritten Teil werden die genauen Folgen der Reise analysiert. Von seinen Büchern, über seine Abneigung der Sklaverei bis hin zur Unterstützung von Revolutionen gegen die Kolonialherren, wie etwa durch Simoné Bolivar. Und während sich Teil fünf mit den Wissenschaftlern beschäftigt, die sich auf Humboldt berufen, schildert Teil vier seine letzten Berliner Jahre inklusive seiner Russlandreise. So entwirft Wulf ein spannendes Gemälde eines eigensinnigen Mannes, der nach seiner Südamerikareise stets von Geldsorgen geplagt war. Humboldt hasste Berlin und Preußen und nur seine Möglichkeit als Kammerherr des preußischen Königs zu arbeiten und so ein wenig Geld in seine klammen Kasse zu spülen bewog ihn zur Rückkehr. Es sind diese Kompromisse, die der Forscher eingehen musste und die von Wulf herausarbeitet werden, die Humboldt von seinem Sockel heben und ihn als Menschen charakterisieren. Auf diese Weise entsteht dann nicht nur das Lebensbild eines Ausnahmewissenschaftlers, sondern das Porträt einer ganzen Epoche.


Wulf beschreibt uns einen vielseitig interessierten Mann. Sie geht chronologisch vor und beginnt bei seiner nicht einfachen Kindheit. Nach seinem Studium arbeitete Humboldt zunächst als preußischer Bergbauinspektor. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1796, die ihm eine beträchtliche Erbschaft hinterließ, beschloss Humboldt, sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Sein größtes Abenteuer begann 1799, als er zusammen mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland auf eine fünfjährige Expedition nach Südamerika aufbrach. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Paris nieder und veröffentlichte die Ergebnisse seiner Reise in mehreren monumentalen Werken. 1830 kehrte Humboldt nach Berlin zurück, wo er als Berater des preußischen Königs diente und zahlreiche Vorträge hielt. Alexander von Humboldt starb 1859.


Beim Lesen des Buches ging es mir ähnlich, wie Humboldt auf seinen Reisen. Je tiefer ich in die Materie einstieg, umso mehr wollte ich wissen. Zum Glück stehen bei mir noch zwei Bände von Die andere Bibliothek, die sich mit Humboldt beschäftigen. Allen voran die beiden bibliophilen Foliobände Kosmos und die Bildbiographie von Frank Holl Mein vielbewegtes Leben. Ich freue mich drauf.


Wulfs Biographie weckt Fernweh beim Lesen. Ich möchte wieder reisen – und das meint, nicht mit dem Flieger in den Süden, Hotel und Strand. Reise. Mit allen Unbequemlichkeiten, Verzögerungen und Ärgernissen die dazu gehören. Ein Land bereisen, Menschen kennenlernen und immer wieder neu planen. Mehr – und die absolute Bewunderung für einen Mann, der unser Wissen und unser Denken über unsere Welt fundamental verändert hat – kann eine solche Biographie nicht leisten. Ich gebe zehn von zehn Naturgemälde.

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