Durchgelesen und eine Dreiecksliebe durchstanden – Teil 192
- berndhinrichs
- vor 1 Stunde
- 2 Min. Lesezeit

Ein Roman zwischen den Romanen
Ich bin ehrlich: Die Verdorbenen war eigentlich gar nicht geplant. Ich hatte gerade einen dicken Roman abgeschlossen, war erschöpft, aber noch nicht bereit fürs nächste große Buch. Irgendwas Kleines sollte es sein – etwas für zwischendurch, ohne Verpflichtung, ohne Schwerstarbeit. 160 Seiten, dachte ich, das liest man in zwei, drei Abenden weg. Ein Roman zwischen den Romanen eben.Was ich dann in die Hand bekam, war zwar kurz – aber alles andere als leicht. Köhlmeier erzählt in einem Ton, der nicht laut wird, nicht drängt, und gerade deshalb lange nachhallt.
Worum geht es?
Anfang der 1970er-Jahre zieht Johann zum Studium nach Marburg. Dort lernt er Christiane und Tommi kennen – ein Paar, das schon seit ihrer Jugend zusammen ist. Johann macht mit Christiane einen belanglosen Spaziergang, der bei ihr nachwirkt. Kurz entschlossen verkündet sie, dass sie künftig mit Johann zusammenwohnen will und Tommi verlassen wird. Als Johann ein Kind war, fragte sein Vater, ob er einen Wunsch im Leben habe. Und Johann hatte sich nicht getraut zu antworten: „Einmal im Leben möchte ich einen Mann töten.“Tommi kann nicht von Christiane lassen und zieht schließlich zu den beiden. Als es zu einem gewaltsamen Vorfall kommt, überschreiten alle Beteiligten eine Schwelle, von der es kein Zurück gibt.
Leise Tiefe statt lauter Thesen
Dass Die Verdorbenen auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2025 steht, hat mich beim Lesen erst überrascht – und dann gar nicht mehr. Der Roman wirkt unauffällig, fast beiläufig, aber gerade das macht ihn so präzise. Köhlmeier streut Fragen nach Schuld, Freiheit, Nähe und Gewalt in seine Erzählung, ohne sie je auszustellen. Keine Fußnotenphilosophie, keine großen Thesen in Fettdruck – sondern Gedanken, die sich aus den Figuren ergeben. Es ist dieses ruhige Nachdenken, das dem Text Tiefe gibt. Und wohltuend: Es erinnert an echte Fragen, nicht an kalendarische Lebensweisheiten à la Saint-Exupéry.
Das Böse ohne Motiv
Ein Satz, der hängenbleibt: „Das wahre Böse ist das Böse ohne Motiv.“ Im Interview auf der Büchergilde-Seite lässt Michael Köhlmeier diese Einsicht fallen – und sie trifft direkt ins Mark. Er erklärt, dass unser Bedürfnis, Hintergründe für Gewalt zu finden, uns gesellschaftlich stabilisiert. Was aber, wenn es keine Ursache gibt, keine Erklärung? Dann stürzt die vertraute Ordnung ins Wanken.Dieses Bewusstsein durchzieht Die Verdorbenen subtil: Nicht die dramatische Erklärung, sondern das ungeklärte Böse macht die Geschichte so beklemmend. Eben kein pathologisches Motiv, sondern das Schweigen darüber – das macht sie so verstörend. Und Köhlmeier zeigt uns, wie dünn die Lunte zwischen Alltag und Abgrund oft ist.
Fazit
Die Verdorbenen ist ein kurzer, konzentrierter Roman, der mehr andeutet als erklärt – und gerade dadurch lange nachwirkt. Er lässt Raum für Deutung, ohne sich in Rätseln zu verlieren. Ein Buch, das sich lesen lässt wie ein Zwischenruf, aber bleibt wie ein Echo. 9 von 10 Tutoren.
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