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berndhinrichs

Durchgelesen und eine junge israelische Stimme gehört – Teil 99


Öfters stelle ich mir die Frage nach der Faszination vom Lesen. Warum immer wieder der Griff zum Buch. Ich glaube, es liegt an den Welten, die sich mir eröffnen. Wenn ich in der Buchhandlung meines Vertrauens stöbre und einen Band in den Händen halte, frage ich mich, möchte ich diese Reise unternehmen. Denn als Leser beobachte ich nicht die handelnden Personen im Roman, als Leser stehe ich an ihrer Seite – von Ismael an Bord der Pequod bis zu Paul Bäumer im Gemetzel des 1. Weltkrieges. Das war auch der Grund zum Kauf von Saleit Shahaf Polegs Roman „Bis es wieder regnet“ - eine junge israelische Stimme, geboren 1977.



Ort der Handlung ist nämlich ein Kibbuz im nördlichen Israel, in der Jesreelebene. Kibbuz. Von dem Namen geht immer etwas Magisches aus. In den 1970er-Jahren, als in Deutschland linkes Gedankengut noch weit verbreitet war in der Gesellschaft, waren die basisdemokratischen Strukturen mit gemeinsamem Eigentum, wenn nicht Sehnsuchtsort, so doch mindestens erregt diskutierte Lebensalternative. Shahaf Poleg stellt uns Gali und Jael vor, zwei Schwestern, die nach jahrelanger Abwesenheit wieder in ihr heimatliches Kibbuz zurückkehren – die eine aus Kanada, die andere aus Tel Aviv. Gali möchte dort ihre Hochzeit feiern und weiß aber schon bei ihrem Eintreffen, dass ihr Ehemann nicht erscheinen wird und die schwangere Jael sucht einen Neuanfang, indem sie ein Gästehaus eröffnen will.


Die Welt, die Shahaf Poleg entwirft, ist allerdings weit entfernt von den Vorstellungen, die es über den Kibbuz hierzulande einmal gab. Korruption und Vetternwirtschaft bestimmen das Bild. Es geht um die Wasserversorgung und es geht um die Zukunft der Gemeinschaft. Die beiden Schwestern stoßen nicht nur auf ihre eigene Vergangenheit, sondern nach und nach kommt auch ein Familiengeheimnis ans Licht. Das klingt jetzt nicht besonders originell – zugegeben. Heimkehr nach vielen Jahren und das lang verschwiegene Familiengeheimnis wartet darauf, endlich gelüftet zu werden. Aber wer den Roman so liest tut ihm unrecht.

Shahaf Poleg ist auf einem Kibbuz groß geworden. Sie berichtet authentisch und greifbar. Ihre Schilderungen lassen die Welt in Israel entstehen. Auch der Zerfall des Traumes Kibbuz. Dem Roman haftet eine morbide Stimmung an. Es scheint alles im Zerfall zu sein. Die Großeltern sterben oder sind in ihrer eigenen Welt stehen geblieben. Die Eltern sind gar nicht anwesend und tauchen nur am Rande kurz vor der vermeintlichen Hochzeit auf. Die 1977 geborene Schriftstellerin erzählt uns eine Geschichte aus den letzten Tagen eines Traumes. Dabei wirkt sie allerdings mitunter zu pedantisch, wie etwa die Liste der Personen zeigen würde, die in dem rund 270-Seiten-Roman vorkommen. Ein Namensindex oder ein Stammbaum hätte hier Wunder gewirkt und mich auf den ersten 80 Seiten nicht wie einen Blinden im Wald umherirren lassen.



Die Ausgabe, die ich gelesen habe, stammt – wieder einmal – aus der Büchergilde Guttenberg. Im freiverkäuflichen Buchhandel ist der Roman im Aufbau Verlag erschienen. Vielleicht in Phasen etwas wirr, habe ich den Roman dennoch gerne gelesen. Ich gebe acht von zehn Elui.

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