Es gibt ein schönes Foto von Kurt Tucholsky. Er liegt auf dem Bauch auf einer sonnendurchfluteten Wiese und blickt etwas undurchsichtig in die Kamera, leicht lächelnd. Neben ihm: Eine junge Frau, schwarze Haare, ihr Blick ganz auf ihn gerichtet. Bei der Frau handelt es sich um die damals 35jährige Lisa Matthias, eine deutsche Journalistin. Mit ihr verbrachte der Schriftsteller eine paar Tage in Schweden am See Mälaren in Mariefred, nur eine Autostunde östlich von Stockholm. Matthias und Tucholsky hatten Ende der 1920er- Anfang der 30-Jahre eine Affäre, die für Literaturliebhaber nicht ganz unbedeutend ist. Denn die Tage der beiden Turteltauben in Schweden sollten in Tucholskys wohl bekanntestem Werk müden: „Schloss Gripsholm“.
In dem 1931 erschienenen Roman macht ein Paar Urlaub in Schweden auf Schloss Gripsholm. Sie, Lydia, wird von ihm nur Prinzessin genannt und bei ihm heißt es: „Wir hatten uns unter anderem auf Peter geeinigt – Gott weiß warum“. Erst gegen Ende des kurzen Romans kommt der wahre Name ans Tageslicht: Kurt. Dies ist nicht die einzigen Parallele zum realen Leben, die der Roman aufweist. So wird „Peter“ von Lydia auch immer mit „Daddy“ angesprochen, ebenso wie Matthias Tucholsky nannte.
Tucholsky schildert eine leichte Sommergeschichte mit einigen skurrilen Nebenhandlungen, die frei erfunden sind. In der Einleitung zum Roman entschuldigt sich der Autor vorab für die Leichtigkeit seiner Geschichte in so stürmischen Zeiten, indem er einen fiktiven Briefwechsel mit seinem Verleger Ernst Rowohlt wiedergibt, in dem Rowohlt eine „kleine Liebesgeschichte“ in Auftrag gibt. Das gelingt dem Autor vortrefflich. Er plaudert munter drauflos, mit einem Wortschatz, der mal ironisch, mal liebevoll das romantische Tête-à-Tête in Schweden beschreibt. Außerdem lässt Tucholsky dem Paar zweimal Besuch zukommen: Karl, ein Freund von Peter, macht seine Aufwartung und Sibylle, eine Freundin von Lydia – beide natürlich nacheinander. Und natürlich kommt es bei den Besuchen zu gedanklichen erotischen Spielen und einmal sogar zur Realisation. Das alles aber in so feiner und angemessener Sprache, dass es nicht abstoßend, sondern eine höchst angenehme und knisternde ménage à trois ist.
Ich habe den Roman in der wirklich wundervollen Ausgabe der Büchergilde Guttenberg vorliegen – wieder einmal ein Grund hier Mitglied zu werden. Bedrucktes Leinen, Lesebändchen und ein bezaubernd schöner Druck. Dazu kommen 60 Illustrationen von Hans Traxler, die sowohl die Stimmung der beginnenden 30er-Jahre als auch die Melancholie der Geschichte vortrefflich einfängt. Falls es jemanden gibt, der das ganze lieber als Taschenbuch hätte: Im Insel Verlag ist das bibliophile Werk als broschierte Ausgabe erschienen und im freien Buchhandel bestellbar.
Neben der Sprache und der wunderschönen Aufmachung ist es noch ein weiteres, dass den Roman auszeichnet. Es sind die realen Hintergründe in Form von Lisa Matthias. Die Journalistin war vor allem nach dem Krieg stets darauf bedacht, ihre Rolle in Tucholskys Leben aufzuwerten –ihre 1962 erschienene Biographie ist dafür passenderweise „Ich war Tucholskys Lottchen“ betitelt. In Folge der Veröffentlichung wurde Matthias vom deutschen Feuilleton harsch angegangen. Vermutlich hat sich die Journalistin nach Reise und Romanveröffentlichung Hoffnung auf ein eheliches Bündnis mit dem Autor gemacht. Nicht ganz zu Unrecht, wie ein Blick in die Biographie des Autors zeigt: 1912 erschien sein Roman „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“, nachdem er mit Else Weil in Rheinsberg war – sie wurde dann zu seiner ersten Ehefrau. 1927 folgte noch das Pyrenäenbuch, nachdem er mit seiner späteren zweiten Frau, Mary Gerold, in den Pyrenäen Urlaub machte. Warum also nicht Lisa Mathias, nachdem der Schwedenaufenthalt ebenfalls in ein Buch mündete. Der Schriftsteller tat ihr nicht den gefallen. Er widmete lediglich den kleinen Roman „Für IA 47 407“ – das Nummernschild von Matthias Auto in Berlin.
Mit Tucholsky haben wir wieder einen Autor, der mit der deutschen Sprache jonglieren konnte. Eine Fähigkeit, die kaum noch beherrscht wird. Er überlebte den Nationalsozialismus nicht. 1935 starb er an einer Überdosis Tabletten. Ob Unfall oder Selbstmord ist bis heute nicht geklärt. Seine erste Frau flüchtete nach Frankreich und wurde vom Vichy-Regime als staatenlose Person nach Ausschwitz-Birkenau geschickt. Dort wurde sie ermordet. Seine zweite Frau überlebte den Krieg ebenso wie Lisa Matthias. Doch während letztere ihn in ihren erwähnten Memoiren beispielsweise einen beziehungsunfähigen Erotomanen betitelte, äußerte sich Gerold nie über das Privatleben des Schriftstellers, sondern verwaltete seinen Nachlass.
„Schloss Gripsholm“ ist wundervolle Literatur – nicht nur im Sommer. Ich gebe 10 von 10 Billies.
Comments