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berndhinrichs

Durchgelesen und einen Klassiker wieder entdeckt – Teil 134




Zeit für einen Klassiker: Denn selbigen liefert Robert L. Stevenson mit Dr Jekyll und Mr. Hyde – einen echten Klassiker der Gothic Novel. Zu dieser eher ästhetischen Strömung zählen so großartige Werke wie Bram Stokers Dracula, Mary Shellys Frankenstein oder der moderne Prometheus oder auch Gaston Leroux Phantom der Oper. Von literarischer Strömung zu sprechen wäre vermutlich ein Fehler. Zu unterschiedlich sind ihre Vertreter. Von Tolstoi über Theodor Storm bis zu Jane Austen. Alle haben sie Klassiker der Schauerliteratur geliefert. Und doch: Stevensons Roman sticht noch einmal besonders hervor.


Die Handlung des Romans sollte jedem, der sich für Bücher und Literatur interessiert bekannt sein – denkt man vielleicht. Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde – so der Originaltitel – wurde 1886 veröffentlicht. Die Geschichte spielt im viktorianischen London und beginnt mit dem Anwalt Mr. Utterson, der sich Sorgen um seinen Freund Dr. Henry Jekyll macht, nachdem dieser eine seltsame Freundschaft mit dem mysteriösen und unheimlichen Mr. Edward Hyde eingegangen ist. Dr. Jekyll ist ein angesehener Wissenschaftler. Er entwickelt ein Serum, das es ihm ermöglicht, seine dunklen Begierden und schlechten Eigenschaften in einer separaten Identität auszuleben. Durch die Einnahme des Serums verwandelt er sich in den bösen und skrupellosen Hyde. Hyde genießt seine Freiheit und Ungezügeltheit und begeht dabei verschiedene Verbrechen, darunter einen brutalen Mord. Utterson findet heraus, dass Jekyll Hyde eine umfassende Vollmacht über sein Vermögen und Eigentum gegeben hat. Im letzten Teil des Romans entdeckt Utterson, dass Dr. Jekyll und Mr. Hyde dieselbe Person sind. In einem Brief erklärt Jekyll, dass er durch seine wissenschaftlichen Experimente versucht hatte, die duale Natur des Menschen zu trennen – das Gute und das Böse. Was als wissenschaftliche Neugier begann, wurde zu einer Sucht, und Jekyll verlor zunehmend die Kontrolle über die Transformationen. Hyde wurde stärker und begann, sich auch ohne das Serum zu manifestieren. Jekyll beschreibt, wie er die Menschlichkeit und die Kontrolle über sein Leben verlor. Schließlich wurde die Verwandlung zu Hyde unumkehrbar, und Jekyll sah nur einen Ausweg: den Selbstmord.


Stevenson liefert mit seinem Roman einen der wichtigsten Vertreter des so genannten Body Horrors – ein Begriff, den er noch nicht kannte und der erst in den 1980er-Jahren entstand. Er war stilgebend für viele Charaktere aus Film, Comic und Literatur. Hulk, Alien oder auch Die Fliege wären ohne Stevensons Werk nicht vorstellbar. Für mich neu beim wiederholten Lesen des Romans ist die Tatsache, dass Jekyll als Mr. Hyde durchaus weiß, dass er sich verwandelt hat. Er verfällt in kein Trauma oder ist abwesend. Er erlebt sein Umfeld dann als Hyde und genießt, zumindest zu Beginn seiner Versuche, diese Umwandlung.


Ähnlich wie Shelly in ihrem Frankenstein, hebt Stevenson seine kritische Stimme gegen den Wissenschaftsdrang des Menschen. Alles erforschen zu wollen, alles wissen zu wollen, ohne moralische Schranken führt in die Katastrophe. So wie Shellys Roman von den damaligen Wünschen inspiriert war, dank medizinischer Fortschritte Herr über Leben und Tod zu sein, ließ sich Stevenson von den immer tiefergehenden Betrachtungen der menschlichen Seele inspirieren. Bei aller sprachlichen pompösen Verspieltheit, die dem viktorianischen Zeitalter anhaftet, liefert Stevenson eine packende Geschichte von der ersten bis zur letzten Seite. Die erzeugte Atmosphäre, getragen von den Charakteren, der beschriebenen Architektur der Gebäude im Roman sowie entstand ein dichtes psychologisches Drama voller Intensität.


Ich hatte mir den Roman in einer bibliophilen und illustrierten Ausgabe der Büchergilde Gutenberg zugelegt. Ich glaube, die ist nur noch antiquarisch zu bekommen. Lohnt sich aber. Neben den wirklich erschreckenden Bildern, einem – ich übertreibe nicht – grandiosem Schriftbild und Druck, weist die Ausgabe drei unterschiedlichen Schriften auf und trägt so zur Verunsicherung des Lesers bei. Ich gebe 10 von 10 Spazierstöcken.

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