Durchgelesen und letzten Gedanken gefolgt – Teil 183
- berndhinrichs
- vor 32 Minuten
- 2 Min. Lesezeit

Eben noch unterwegs mit einer jungen Frau, über Feminismus und ausgelebter Erotik sinniert, habe ich mich jetzt mit einem alten weißen Mann getroffen: Günter Grass. Von wenigen Autoren habe ich so viel gelesen. Umso gespannten war ich auf das Abschiedswerk des Literaturnobelpreisträgers, Vonne Endlichkait, sein literarisches Testament, das posthum wenige Wochen nach seinem Tod erschien.
In Vonne Endlichkait blickt Günter Grass mit scharfem Blick, ironischem Ton und poetischer Verdichtung auf das, was bleibt – und was vergeht. Das Buch ist sein letztes Werk, ein literarischer Abschied und zugleich ein kunstvoll montiertes Kaleidoskop aus Erinnerungen, Beobachtungen, Gedanken und Träumen. Zwischen Text und Bild, zwischen Gedicht, Prosa und Zeichnung entfaltet Grass ein persönliches Panorama des Alterns und Abschiednehmens – und bleibt dabei nie sentimental, sondern von trockenem Witz und kritischem Geist getragen.
In seinem Buch nimmt Grass noch einmal Stellung zu allem, was um ihn herum passiert. Er schreibt Texte über Merkel, die Finanzkrise und zum allgemeinen Zustand der Welt. Aber auch privates findet den Weg in seine Betrachtungen. So schildert er beispielsweise, wie er und seine Frau sich schon mal Särge haben zimmern lassen, dass sie diese in einem Schuppen aufbewahren – seine Frau lagert sogar Blumenziebeln drin – und sich Gedanken über die Innenverkleidung machen.
Bei der Fülle an Themen, die Grass auf den über 170 Seiten anspricht, ist es nicht verwunderlich, dass nicht jeder Gedankengang, nicht jede Idee herausragend ist. Aber das ist auch gar nicht so wichtig. Sollte das Thema der Betrachtung mir fremd oder langweilig erscheinen, blieb mir immer noch die Sprache und der Wortwitz. Damit hebt sich der Autor angenehm ab von dem ganzen trivialen Einheitsbrei der Martin Suters und Paulo Coelhos, der einem in den Buchhandlungen um die Ohren gehauen wird. Selbst in den Schilderungen zu seinem letzten ihm verbliebenen Zahn gelingt es Grass eine Sprache zu finden, die zwar persönliche Anteilnahme erzeugt, die den Leser dabei aber nie über die Schwelle des Fremdschämens trägt. Er ist und bleibt eben der Literaturnobelpreisträger – ob mit einem oder 32 Zähnen.
Ein Wort noch zur Ausgabe: Der Band fast im quadratischen Format ist wunderschön. Er enthält viele Zeichnungen von Grass. Liebevoll gestaltet lässt er viel Raum für die eigenen Gedanken zur Vergänglichkeit. Vonne Endlichkait ist ein stilles, vielschichtiges Vermächtnis – ein literarisches Nachglühen, in dem sich Lebenserfahrung, Altersweisheit und der unverwechselbare Ton von Grass zu einem letzten großen Werk verdichten. Ich mag Grass und ich mag diesen Band. Definitiv zehn von zehn Sargnägel.
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