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Durchgelesen und einen Thriller erlebt – Teil 201

  • berndhinrichs
  • 16. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit


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Absprung aus Berlin „Alexanderplatz“


Nach etwa hundert Seiten Berlin Alexanderplatz war für mich Schluss. Ich habe gemerkt, dass ich gerade keine Lust auf Sprachlabyrinthe und bleierne Großstadttristesse habe. Also griff ich zu etwas Leichterem – Der Gott des Waldes von Liz Moore, einem Roman, der als Thriller verkauft wird und ein bisschen nach Sommer, Spannung und leichter Eskapismus klang. Und tatsächlich: Das Buch liest sich mühelos weg, flüssig, mit gut gesetzten Cliffhangern. Nur die versprochene gesellschaftliche Tiefe, die das Verlagsmarketing andeutet, habe ich darin nicht gefunden.


Ein verschwundenes Mädchen und eine Familie im Schatten


Im Sommer 1975 verschwindet die dreizehnjährige Barbara Van Laar spurlos aus einem Sommercamp in den Wäldern der Adirondacks. Es ist das Camp ihrer wohlhabenden Familie, ein Ort, an dem Reichtum und Macht ebenso selbstverständlich sind wie Schweigen und Kontrolle. Schon vierzehn Jahre zuvor war Barbaras älterer Bruder Bear verschwunden – auch damals blieb vieles im Dunkeln. Liz Moore erzählt die Geschichte über verschiedene Zeitebenen hinweg: aus Sicht der Familie, der Camp-Angestellten, der Ermittlerinnen. Nach und nach soll ein vielschichtiges Bild aus Privilegien, Ungleichheit und unausgesprochenen Geheimnissen entstehen. Hinter dem scheinbaren Idyll der amerikanischen Upper Class zeigt sich eine Welt, in der Abhängigkeit und Angst genauso tief verwurzelt sind wie die Bäume des Waldes.


Figuren, die nicht ganz lebendig werden


Anders als viele Kritikerinnen und Kritiker sehe ich die Figuren nicht als besonders tief oder psychologisch vielschichtig gezeichnet. Für mich bleiben sie eher flach, eher Funktion als Mensch. Man erfährt genug, um die Handlung zu verstehen, aber zu wenig, um wirklich Nähe zu entwickeln. Die Konflikte wirken angedeutet, nicht durchlebt. Vielleicht liegt darin die Lesbarkeit des Romans – er bleibt auf Distanz, auch emotional. Doch gerade das, was ihn so leicht konsumierbar macht, nimmt ihm die Wucht, die er haben könnte.


Spannung ohne große Effekte


Trotzdem – spannend ist das Buch ohne Frage. Der Gott des Waldes ist ein klassischer Pageturner, der einen zuverlässig durch die Seiten zieht. Perfekt für den Strand, die Hängematte oder den Liegestuhl, auch wenn ich ihn im Oktober gelesen habe, mit Regen vor dem Fenster statt Sonne im Gesicht. Liz Moore versteht es, Spannung aufzubauen und sie zu halten, ohne große Effekte – einfach durch gutes Timing und das richtige Maß an Andeutung. Für die richtige Jahreszeit wäre das fast schon ideale Urlaubslektüre gewesen.


Eine Ausgabe, die haptisch überzeugt


Das Original erschien im C.H. Beck Verlag, ich habe jedoch die Ausgabe der Büchergilde Gutenberg gelesen – und allein dafür lohnt sich fast der Griff zum Buch. Der feste, geprägte Einband, der farblich abgestimmte Farbschnitt und das bedruckte Vorsatzpapier machen die Ausgabe zu einem kleinen Kunstwerk. Auch das Lesebändchen und die feine Haptik tragen dazu bei, dass man das Buch gern in die Hand nimmt – selbst wenn der Inhalt für mich nicht ganz die Tiefe erreicht, die das Äußere verspricht. Ich gebe fünf von zehn Ferienlagern.

 
 
 

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