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Durchgelesen und Freuden der Renaissance erlebt – Teil 190

  • berndhinrichs
  • 31. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

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Faszination der Literatur der 1920er Jahre

Die Literatur der 1920er Jahre fasziniert mich seit jeher durch ihre emotionale Tiefe und ihre gleichzeitige Modernität. Es ist eine Epoche, in der sich große gesellschaftliche Umbrüche in einer Sprache niederschlagen, die roh, leidenschaftlich und voller ästhetischer Wucht ist. Werke aus dieser Zeit tragen noch heute eine Intensität in sich, die unmittelbar berührt – selbst wenn ihr Tonfall nicht mehr in unsere Gegenwart passt. Klabunds Roman „Borgia“ gehört für mich zu jenen Texten, die dieses Spannungsfeld meisterhaft verkörpern.


Die Familie Borgia – Macht, Intrigen und Legende


Die Borgia-Familie stammte ursprünglich aus Spanien und wurde im 15. Jahrhundert in Italien zu einer der mächtigsten und umstrittensten Dynastien. Rodrigo Borgia bestieg 1492 als Papst Alexander VI. den Stuhl Petri und nutzte seine Position, um seine Familie politisch zu stärken. Sein Sohn Cesare Borgia war ein charismatischer, aber gefürchteter Feldherr, der skrupellos Machtpolitik betrieb und als Vorbild für Machiavellis „Der Fürst“ gilt. Seine Tochter Lucrezia Borgia war eine gebildete, einflussreiche Frau, die oft als Werkzeug politischer Allianzen verheiratet wurde. Gemeinsam verkörpern die Borgias bis heute den Mythos von Glanz, Macht und Skandal der Renaissance.


Klabund – ein vergessener Meister


Klabund, mit bürgerlichem Namen Alfred Georg Hermann Henschke (1890–1928), hat sich diesen Mythos in seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen Roman vorgenommen. Der Autor war einst eine schillernde Stimme des Expressionismus – gefeiert für seine Nachdichtungen chinesischer Lyrik, für den „Kreidekreis“ und für seine feinsinnigen Romane. Sogar Thomas Mann ließ sich für den „Zauberberg“ von Klabunds Erzählung „Die Krankheit“ (1917) inspirieren, die das Leben in einem Davoser Sanatorium schildert. Doch während Zeitgenossen wie Brecht, Benn oder Tucholsky in der literarischen Erinnerung lebendig blieben, ist Klabund heute nahezu vergessen. Gründe dafür gibt es viele: sein früher Tod an Tuberkulose, der ihm die Chance nahm, ein geschlossenes Œuvre zu hinterlassen; seine Vielgestaltigkeit – Lyriker, Erzähler, Dramatiker, Satiriker –, die ihn schwerer greifbar machte; und nicht zuletzt die literarische Kanonbildung nach 1945, in der andere Namen die Deutungshoheit übernahmen. So bleibt Klabund bis heute eine Gestalt, die eher wiederentdeckt werden müsste, als dass sie jemals ganz präsent war.


„Borgia“ als expressionistischer Roman


Klabunds „Borgia“ ist ein typisches Kind des Expressionismus. Der Roman zeichnet keine nüchterne Geschichtserzählung, sondern greift auf eine emotional übersteigerte Sprache zurück, die die inneren Abgründe seiner Figuren ebenso ausleuchtet wie die großen Leidenschaften ihrer Epoche. Alles wird überhöht: die Machtgier, die Wollust, die Grausamkeit, aber auch das Glänzende und Feierliche dieser Zeit. Es geht weniger um historische Genauigkeit, sondern um ein psychologisches und ästhetisches Bild, das den Leser in ein fiebriges Panorama von Macht und Dekadenz hineinzieht. Darin liegt die eigentliche Modernität des Textes.


Ausstattung für Bibliophile


Neben dem literarischen Gehalt überzeugt diese Ausgabe von „Borgia“ auch durch ihre Ausstattung: gebunden in schwarzes Leinen, versehen mit einer goldenen Prägung des Klabund-Schriftzugs, fadengeheftet, geschützt von einem Schuber mit Aufdruck und ergänzt durch ein rotes Lesebändchen. Ein Buch, das nicht nur gelesen, sondern auch gesammelt werden möchte – ein würdiges Kleid für einen fast vergessenen Autor.


Bewertung


„Borgia“ ist ohne Zweifel ein Roman, der aus seiner Zeit spricht – seine Sprache, sein Tempo und sein Blick auf die Geschichte sind nicht mehr aktuell, und genau darin liegt zugleich sein Reiz. Klabund, dieser heute fast vergessene Autor, war in der Weimarer Republik ein gefeierter Bestsellerautor und eng vernetzt mit den großen Namen des Literaturbetriebs. Dass er in der literarischen Erinnerung verblasst ist, wirkt angesichts der Wucht und Eindringlichkeit dieses Romans umso unverständlicher. Schluss: Wer die Intensität der 1920er Jahre spüren möchte, findet in „Borgia“ ein vergessenes Juwel, das auch heute noch glüht. Ich gebe 10 von 10 Diamanten

 
 
 

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