Durchgelesen und seelische Schmerzen verstanden – Teil 189
- berndhinrichs
- 24. Aug.
- 2 Min. Lesezeit

Ein Buch, das wehtut – aber bleiben muss
Es gibt Bücher, die einem den Spiegel vorhalten – und es gibt Bücher, die einen fast zwingen hineinzusehen. Die Macht der Kränkung von Reinhard Haller gehört definitiv zur zweiten Sorte. Kein Wohlfühlbuch, keines, das man eben mal so nebenbei liest, aber eins, das lange nachhallt. Und das beginnt schon mit der unbequemen Erkenntnis: Kränkungen sind keine kleinen Sticheleien oder verletzte Eitelkeiten. Sie sind mächtige Auslöser – für Rückzug, für Angst, für Wut. Und manchmal sogar für Gewalt.
Verborgene Wunden: Wie Kränkungen unser Leben prägen
Haller, Psychiater, Psychotherapeut und forensischer Gutachter, weiß, wovon er spricht. In seinem Buch zeigt er, wie seelische Verletzungen entstehen, wie sie sich einnisten – in der Kindheit, in Beziehungen, im Beruf – und wie sie sich über Jahre hinweg durch das Leben ziehen können. Und das Erschreckende daran: Man merkt es oft gar nicht. Kränkungen bleiben häufig unbemerkt, wirken im Verborgenen, fressen sich langsam durch das Selbstwertgefühl und verzerren die Sicht auf sich selbst und andere.
Klar, echt, nah – Hallers Schreibstil trifft mitten ins Herz
Dabei liest sich das Buch alles andere als trocken. Haller schreibt klar, nachvollziehbar, fast beiläufig – und gerade dadurch trifft es. Man merkt beim Lesen: Hier spricht keiner von oben herab, sondern jemand, der genau hingesehen hat. Der die seelischen Narben seiner Patientinnen und Patienten kennt. Und der weiß, wie viel Kraft es kostet, sich den eigenen Verletzungen zu stellen. Besonders eindrucksvoll sind die vielen Fallgeschichten, die das Beschriebene greifbar machen – und gleichzeitig zeigen, dass Kränkungen keine Ausnahme sind, sondern Alltag.
Kränkungskompetenz: Was hilft gegen seelische Verletzungen?
Was das Buch aber besonders stark macht: Es bleibt nicht bei der Diagnose stehen. Haller gibt konkrete Impulse, wie man mit Kränkungen umgehen kann, ohne sie zu verdrängen oder ihnen die Macht über das eigene Leben zu überlassen. Er spricht von „Kränkungskompetenz“ – ein Begriff, den ich erst etwas sperrig fand, der aber mehr als Sinn ergibt. Denn wer sich mit den eigenen Kränkungen auseinandersetzt, wer versteht, woher sie kommen und wie sie wirken, der kann lernen, ihnen etwas entgegenzusetzen. Und das ist nicht nur psychologisch interessant, sondern zutiefst befreiend.
Mein Fazit: Schmerzhaft wichtig und uneingeschränkt lesenswert
Die Macht der Kränkung ist eine eindringliche Einladung zur Selbstreflexion und zum bewussteren Umgang mit den oft unterschätzten seelischen Verletzungen des Alltags. Ein Buch, das nicht bequem ist, aber unglaublich wichtig. Für alle, die verstehen wollen, warum wir manchmal so reagieren, wie wir reagieren – und wie wir es besser machen können. Von mir gibt’s dafür: 9 von 10 Therapiestunden und einen klaren Leseauftrag.
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