
Afrika, vor allem seine literarische Version, zieht mich immer stark in seinen Bann. Von Joseph Conrads romantischem Herz der Finsternis bis hin zu dem Familiendrama Die geheimste Erinnerung der Menschen von Mohamed Mbougar Sarr: der Kontinent steckt – Achtung Klischeealarm – voller Geheimnisse und nicht erzählter Geschichten. Der neueste Roman in meiner Sammlung ist Wünsche des nigerianischen Schriftstellers Chukwuebuka Ibeh.
Ibeh berichtet aus seinem Heimatland Nigeria und lässt uns teilhaben am Leben von Obiefuna – einem jungen Mann, der von seinem Vater erwischt wird, wie er kleine Zärtlichkeiten mit einem anderen Jungen austauscht. Voller Panik meldet sein Vater ihn in einem christlichen Internat an. Getrennt von seiner Mutter, der einzigen Bezugsperson, die Obiefuna in seiner Familie hat, muss er sich in das hierarchische System der Schüler auf dem Internat einfinden. Aber mit Geschick und Einfühlungsvermögen gelingt es ihm zu überleben. Bis hierhin haben wir es mit einem klassischen Coming-out-Roman zu tun. Ein Teenager entdeckt seine Sexualität und fühlt sich zu Männern hingezogen. In der zweiten Hälfte des Romans erfahren wir dann, wie es Obienfuna schafft in seinem konservativen Land zu überleben. Als eingeschriebener Student erlebt er die homophoben Gesetzte des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas – es kommt zu Massenverhaftungen und Vergewaltigungen.
Ibeh wird vom deutschen Verlag S. Fischer als Shootingstar der nigereanischen Literatur gefeiert – und das zu Recht. Der Autor lässt uns an einer fesselnden, zeitgenössischen Geschichte teilhaben, die das Schicksal homosexueller Männer in Nigeria realistisch nachzeichnet – also nichts für schwache Nerven. Die Datumsangabe am Beginn des Romans „Port Harcourt 2006“ lässt eine exakte Zeiteinteilung zu. Diese Realitätsnähe schlägt sich auch in der Sprache des Romans wieder: sie ist nüchtern und unpathetisch.
Es ist erstaunlich, dass der Autor eines so tiefgreifenden Buches gerade einmal 24 Jahre alt ist. Ibeh entwirft ein Bild der nigerianischen Gesellschaft, das geprägt ist vom Terror Boko Harams, einer erzkonservativen und rückschrittlichen Politik sowie ideologisch festgelegten Werten. Damit stellt er sich gegen die politisch gewollte Lesart, die Nigeria als ein Land mit einer prosperierenden Wirtschaft und hervorragenden Zukunftsaussichten charakterisiert. Es bleibt abzuwarten, wie sich Ibeh im Literaturkosmos festsetzt. Ich freue mich schon darauf, wieder von ihm zu hören. Zehn von zehn Fußbällen.
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