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  • berndhinrichs

Durchgelesen und im Exil gewesen – Teil 123




Wenn ich durch meine Bücherregale mit Blicken schweife, komme ich zu dem Schluss, dass mich Exilliteratur schon immer fasziniert hat. Es reiht sich hier die Bibliothek Exilliteratur aus der Büchergilde Gutenberg – noch nicht alles gelesen – an die zwei wundervollen Jahrgangsbände Die Sammlung – Literarische Monatsschrift, die zwischen September 1933 und August 1935 erschien. Umso unverständlicher ist, dass es bis 2024 dauern musste, bis ich mir endlich von Erika und Klaus Mann Escape to Life – Deutsche Kultur im Exil vorgenommen habe.


In zwei Kapiteln – Schauplatz Europa und Exil in Amerika – stellt das Geschwisterpaar die deutsche Exilantenszene vor. Dabei profitieren sie ganz eindeutig davon, dass viele der hier erwähnten Literaten, Schauspieler oder darstellende Künstler, bei den Manns ein und aus gegangen sind. Das Buch wechselt von reportageartigen Schilderungen über detaillierte Berichte bis hin zu kurzen biographischen Abschnitten zu den jeweiligen Autoren. Ursprünglich 1939 erschienen, wurde es von den beiden Mann Kindern in deutscher Sprache abgefasst und dann ins Englische übersetzt, denn das Werk war die Auftragsarbeit für einen amerikanischen Verlag. In deutscher Sprache erschien Escape to Life erst 1991 – was an sich schon bemerkenswert ist und zeigt, wie groß die Probleme Nachkriegs-Deutschland mit dem Werk von Erika und Klaus sind - den einen zu reaktionär, den anderen zu progressiv.


Escape to Life zeichnet sich durch zwei wichtige Punkte aus. Bei den rund 400 Seiten handelt es sich um ein Zeitdokument. Das darf nicht vergessen werden. Erika und Klaus Mann hatten nicht den Vorteil, den wir heutigen haben, nach rund 80 Jahren auf die Exilanten zu blicken. Für sie war es unmittelbares Erleben. Das führt dazu, das einige Persönlichkeiten anders von den beiden bewerten werden, als wir es tun. Beispiel Alma Mahler-Werfel. Für die Manns war sie eine verzweifelte Emigrantin, ein Opfer der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Die Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler und des Architekten Walter Gropius ist zwar mit ihrem dritten Mann, Franz Werfel ins Exil gegangen, ließ aber hinterrücks beim Reichspropagandaministerium nachfragen, ob sie im Deutschen Reich noch erwünscht sei. Und ihrem Tagebuch vertraute sie an, dass ihre Ehe mit dem Juden Werfel aufgrund unüberbrückbarer „Rassenunterschiede“ zum Scheitern verurteil sei.


Der zweite wichtige Punkt betrifft die Intention des Buches. Erika und Klaus wollten die Exilanten als eine Einheit darstellen und bemühten sich dies herauszuarbeiten. Das ist an vielen Stellen einfach zu bemüht, denn die Exilanten in ihrer Gesamtheit hatten nur einen gemeinsamen Nenner: Den Hass auf das Nazi-Regime. Bei der Lektüre des Werkes ist es wichtig, diesen Fakt im Kopf zu haben. Schon in ihrer eigenen Familie gab es diese beschworene Einheit nicht. Denn so engagiert die beiden Mann-Sprösslinge gegen Nazi-Deutschland stritten, gehört es auch zur Wahrheit, dass ihr berühmter Vater lange zögerte, mit dem Deutschen Reich endgültig zu brechen.


Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, auch wenn es aufgrund der Vielzahl von biographischen Angaben mitunter sehr ermüdend sein kann. Gebunden muss man es leider antiquarisch suchen, aber als Taschenbuch ist es bei Rowohlt immer noch zu haben. Escape to Life war der größte und vermutlich einzige kommerzielle Erfolg der Mann-Geschwister. Aufgrund einiger Durststrecken gebe ich acht von zehn Sanary-sur-Mer.

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