Durchgelesen und im Nationalsozialismus gelebt – Teil 198
- berndhinrichs
- vor 2 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Was mich zum Buchkauf bewegt
Was führt dazu, dass ich mir ein Buch kaufe? Autor, Titel, Cover oder Inhalt? Wenn ich ganz ehrlich bin, kann jeder einzelne Aspekt zum Kauf führen. Bei Maria Leitners Roman Elisabeth, ein Hitlermädchen waren es zwei Aspekte. Einerseits der Titel: Ein Roman, der zwischen 1933 und 1945 spielt, hat meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit – leider mangelt es da an guten Texten. Und als ich mich dann – noch in der Buchhandlung stehend – über die Autorin informierte, war klar: Der Roman ist meiner.
Die Autorin Maria Leitner
Denn Maria Leitner war Journalistin und Schriftstellerin, die sich schon früh der politischen Reportage verschrieb. Geboren in Varaždin, im damaligen Ungarn, berichtete sie in den 1920er-Jahren aus Fabriken, Slums und Krisengebieten. Ihr besonderes Anliegen war es, den Arbeiterinnen, Dienstmädchen, Entrechteten eine Stimme zu geben.Nach Hitlers Machtübernahme musste Leitner als Jüdin und politische Gegnerin fliehen. Nachweislich kehrte sie mehrfach illegal nach Deutschland zurück und berichtete unter anderem über die geheimen Kriegsvorbereitungen. Diese Reportagen erschienen 1936 bis 1939 in verschiedenen Exilzeitschriften. Sie starb 1942 in Marseille in der Psychiatrie am Hungertod. In der Pariser Tageszeitung erschien 1937 als Fortsetzungsroman auch Elisabeth, ein Hitlermädchen.
Inhalt und Figuren des Romans
Leitner beschreibt in dem Roman, basierend auf ihren Recherchen, den Alltag im Deutschen Reich. Elisabeth lernt während eines NSDAP-Parteitages Erwin kennen. Das Hitlermädchen und der SA-Mann verbindet nicht nur die innige Liebe zueinander, sondern auch zu Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus. Beide sind überzeugt davon, nur das neue Regime könne Deutschland helfen.Während Erwin aus großbürgerlichen Verhältnissen stammt, sind Elisabeths Eltern proletarisch geprägt und wohl auch eher Sozialisten oder Kommunisten. Nach einer Abtreibung wird sie zur Landhilfe einbestellt. Hier im Lager, zwischen paramilitärischer Ausbildung und Drill, beginnt sie das System zu hinterfragen.
Gegenentwurf zu nationalsozialistischer Propaganda
Elisabeth, ein Hitlermädchen ist als Gegenentwurf zum propagandistischen Jugendbuch von Helga Knöpke-Joest Ulla, ein Hitlermädel konzipiert. In diesem lebt die 13-jährige Ulla Möller mit ihrer Mutter in Deutschland. In den Ferien besucht ihr Vetter Fritz sie, der begeistert für den Nationalsozialismus eintritt. Ulla und ihre Mutter sind dem Gedankengut bereits zugeneigt, und Fritz bestärkt sie darin.Nach den Ferien gründet Ulla – gemeinsam mit ihrer Freundin Jutta und unterstützt von der älteren Hilde Voß, die schon beim Bund Deutscher Mädel (BDM) ist – eine eigene BDM-Gruppe. Ein zentraler Handlungsstrang ist, dass ein jüdischer Mann namens Aronstein aus Berlin eine alte Burg kaufen will. Ulla und ihre Gefährtinnen sehen darin eine Bedrohung für „deutsches Volksgut“ und engagieren sich dagegen.
Stil und Wirkung
Leitners Roman ist sprachlich keine hohe Literatur – das habe ich auch nicht erwartet. Es ist ein Roman, der uns im Stil einer Reportage das Leben in einer rassisch-völkischen Gesellschaft zeigt, deren Ziel die Entfachung eines neuen Krieges war. Es mag Leserinnen und Leser geben, die sagen: zu schlicht, zu didaktisch. Aber das greift zu kurz. Elisabeth, ein Hitlermädchen ist kein Roman, der gefallen will. Er ist Anklage, Dokumentation und Warnung zugleich.
Elisabeths Entwicklung
Dabei finde ich es erstaunlich, dass die Hauptfigur Elisabeth im Laufe des Textes immer mehr zur Beobachterin wird. Sie ist dabei, wenn sich Frauen auf der Straße unterhalten, wenn politische Bemerkungen zirkulieren. Während sie vor allem im ersten Teil des Romans vehement für den Nationalsozialismus kämpft, seine Fehler – die sie durchaus sieht – entschuldigt und der Meinung ist, „man müsse der Sache eine Chance geben“, zieht sie sich immer mehr zurück – sowohl aus der politischen Diskussion als auch aus den Seiten des Romans.
Die Entstehung als historisches Dokument
Was den Roman besonders auszeichnet, ist sein Zustandekommen. Maria Leitner war eine verfolgte Autorin, ihre Bücher wurden 1933 verbrannt und waren verboten. Sie wagte es dennoch, heimlich zurück ins Reich zu reisen, um aus erster Hand Informationen zu sammeln – um zu verstehen, wie die Angst allmählich um sich griff, wie politische Konflikte auf der Arbeit und in der Familie abliefen. Diese Tatsache gibt dem Text eine außergewöhnliche Authentizität.
Fazit: Pflichtlektüre gegen das Vergessen
Für mich gehört Maria Leitners Roman Elisabeth, ein Hitlermädchen auf den Schulplan. Denn die Mechanismen in einem totalitären System zu erkennen, kann sich nochmal als sehr hilfreich erweisen. 10 von 10 „Volk ans Gewehr“.



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