Durchgelesen und mit Suzid gespielt – Teil 195
- berndhinrichs
- 5. Okt.
- 2 Min. Lesezeit

Ein Roman über Leben, Tod und Depression
Ein Roman, in dem es um einen manisch-depressiven 50jährigen geht, der von starken suizidalen Gedanken gequält wird? Klingt nach einer spannenden Leseerfahrung. Und als ich dann noch las, dass Thomas Melles Text Haus zur Sonne auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist, habe ich kurzentschlossen zugegriffen.
Das „Haus zur Sonne“ – letzte Wünsche vor dem Tod
In dem Roman entscheidet sich ein namenloser Erzähler, der an einer bipolaren Störung leidet und in einer ausweglosen Lebenssituation steckt, für den Aufenthalt im Haus zur Sonne. Diese staatlich finanzierte Einrichtung ist ein Ort für Menschen, die mit dem Leben abgeschlossen haben. Dort werden ihnen letzte Wünsche erfüllt, etwa durch Simulationen und künstlich erzeugte Erlebnisse. Gleichzeitig dient das Haus als Übergangsstation zum Tod. Der Roman begleitet den Erzähler durch seine Erfahrungen in dieser Einrichtung und stellt Fragen nach Selbstbestimmung, Lebenssinn und dem Umgang mit psychischer Krankheit.
Zwischen Zauberberg und Steppenwolf
Melle hat einen Roman geschrieben, der mich einigermaßen ratlos zurücklässt. Er scheint eine Mischung aus Thomas Manns Der Zauberberg und Hermann Hesses magischem Theater („Nur für Verrückte!!“) aus dem Steppenwolf zu sein. Die Abgeschiedenheit, die Patientenkonstellation und nicht zuletzt der Status des medizinischen Personals, führen schnell zum Vergleich mit Mann. Wohingegen die Möglichkeit, seine innersten Wünsche und Triebe auszuleben, stark an die entsprechende Sequenz bei Harry Haller erinnert.
Suizid als Weltanschauung
Und nicht nur das: Im Laufe der Geschichte wird klar, dass Melles Ich-Erzähler ähnlich wie Haller aus seinen Suizid-Gedanken eine Weltanschauung aufgebaut hat. Das Spiel mit dem „Ich-könnte-wenn-ich-wollte“-Gedanken ist allgegenwärtig und wird zum Ende des Romans immer stärker. An einer Stelle nimmt der Autor sogar direkt Bezug: Aber natürlich war ich jenseits davon, ich war einer jener Steppenwölfe, die auf ewig als potenzielle Selbstmörder herumgingen, selbst wenn sie es nie in die Tat umsetzen würden.
Ein schweres Thema – und doch ein Lob des Lebens
Suizidäre Gedanken bestimmen einen Großteil des Romans und viele Leserinnen und Leser werden ihn deshalb schwer verdaulich finden oder ihm mit kompletter Abneigung begegnen. Das ist leider sehr kurz gedacht, denn im Grunde feiert der Roman – ähnlich wie der Steppenwolf – am Ende das Leben.
Träume als literarisches Stilmittel
Ein wesentlicher Bestandteil von Haus zur Sonne sind die Sequenzen, in denen der Ich-Erzähler seine Wünsche in Träumen auslebt. Ich bin niemand, der auf Traumstellen in Romanen besonders scharf ist. Im Gegenteil. Träume haben oft die Aufgabe, dem Leser Botschaften mitzugeben, die der Erzähler auch direkt formulieren könnte. Bei Melle haben die Träume sicherlich eine ganz andere Funktion, aber ihre Dichte innerhalb des Textes ist zu hoch. Mit anderen Worten: Dem Roman hätten 100 Seiten weniger sehr gutgetan.
Fazit: Würdiger Buchpreis-Kandidat mit Längen
Haus zur Sonne ist ein würdiger Vertreter auf der Longlist. Ein absurdes, aber gut gewähltes Thema. Dass der Roman einige Längen hat, steht auf der negativen Seite. Acht von zehn Häutungen.
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