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  • berndhinrichs

Durchgelesen und Katz und Maus gespielt – Teil 124




Bei Günter Grass bin ich wohl dass, was man einen Spätzünder nennt. Als der Literaturnobelpreisträger 1997 seinen 70. Geburtstag feierte, beging der Steidl Verlag dieses Ereignis und brachte damals eine leinengebundene bibliophile Werkausgabe in 16 Bänden plus 23 CDs Die Blechtommel gelesen vom Meister persönlich heraus. Die stand dann auch kurz nach Erscheinen in meiner Studentenbude und harrte dort lange Zeit, bis ich sie in die Hände nahm. Drei Mal habe ich es mit der Blechtrommel vergeblich versucht. Ich habe es nie über die vielzitierte Rockszene zu Beginn des Romans geschafft. Zu detailliert seine Schilderungen, zu umständlich seine Sprache. Erst beim vierten Mal hat es geklappt. Und von da an bin ich in Grass Werk regelrecht gefallen. Zunächst habe ich vor allem seine letzten Romane verschlungen. Mit Katz und Maus bin ich nun an den Ursprung meiner Grass-Begeisterung zurückgekehrt. Denn Katz und Maus ist der zweite Teil der Danziger-Trilogie, zu der außerdem Die Blechtrommel und Hundejahre gehören.


Grass Novelle besteht aus 13 Kapiteln, die recht lose miteinander zusammenhängen. In ihnen erinnert sich der Erzähler Pilenz an seinen Mitschüler Mahlke während ihrer Zeit in Danzig im Zweiten Weltkrieg. Mahlke, Einzelkind und Halbwaise, hebt sich durch seinen auffälligen Adamsapfel von seinen Mitschülern hervor und kämpft mit dem Gefühl des Außenseitertums. Im Sommer verbringen die Jungs ihre Zeit auf dem Wrack eines polnischen Minensuchbootes, dass unweit des Strandes auf Grund liegt. Während alle auf dem herausragenden Deck herumlungern geht Mahlke auf Tauchexpeditionen im Schiffskörper, fördert allerlei zutage und gewinnt so den Respekt seiner Mitschüler. Dabei entdeckt er unter anderem einen Raum über Wasser, der aber nur durch einen Tauchgang zu erreichen ist – sein Rückzugsrefugium. Er wird süchtig nach Anerkennung. Als dann ein ehemaliger Schüler und mittlerweile Kaleu auf einem U-Boot in der Schulaula einen Vortrag hält, nutzt Mahlke die Chance und stiehlt dem U-Bootfahrer sein Ritterkreuz. Er wird erwischt und fliegt von der Schule. Während seines eigenen Kriegseinsatzes verdient er sich selbst diesen Orden als Panzergrenadier. Dermaßen dekoriert will er ebenfalls an seiner Schule einen Vortrag über seine Heldenleistungen halten, um weitere gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Als ihm dies verwehrt wird, desertiert er. Pilenz, vermeintlicher Freund, hilft Mahlke widerwillig, indem er ihn zu dem versunkenen Minensuchboot bringt. Er taucht zu seinem Refugium. Es war das letzte Mal, das Pilenz Mahlke gesehen hat.


Zunächst sollte Katz und Maus nach Grass eigenen Angaben Teil des umfangreichen Romans Hundejahre werden. Erst im Laufe der Arbeit stellte sich heraus, dass die Geschichte eigenständig stehen soll. Sie wurde 1961 veröffentlicht. Spannend ist das Werk vor allem für Leser, die Die Blechtrommel gelesen haben. Neben einigen Schauplätzen, die aus dem vorangegangenen Werk bekannt sind, wie beispielsweise der Lebensmittelladen der Familie Matzerath, sind es auch Personen, die in Katz und Maus ein Wiedersehen mit den Lesern feiern – etwa die Mitglieder der Stäuber.


Ob Grass den Erfolg der Blechtrommel weiter nutzen wollte, oder ob er tatsächlich etwas Eigenes schaffen wollte, mag jeder Leser für sich selber entscheiden. Die Novelle ist in jedem Fall großartig. Sprachlich ein Genuss, die Geschichte mit derben Szenen durchsetzt und das Szenario glaubhaft entwickelt. Ich freue mich schon auf Hundejahre und gebe zehn von zehn Plattenspieler.

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