Mercè Rodoreda ist die zweite katalanische Schriftstellerin, die ich gelesen habe. Nach ihrem grandiosen männlichen Kollegen Jaume Cabré. Und wieder hat mich die Poesie der Sprache und der Handlung in ihren Bann gezogen – allerdings mit kleinen Abstrichen. Im Mittelpunkt von „Der Garten über dem Meer“ steht die Geschichte von Francesc und Rosamaria – beschrieben aus Sicht ihres Gärtners. Die beiden führen in der 1920er-Jahren ein sorgenloses Leben und genießen alljährlich die Sommerfrische am Meer. Den Winter verbringen sie in Barcelona. Sechs Sommer, daher sechs Jahre in sechs Kapiteln wird ihr Leben beschrieben. Wir erleben mit, wie eine brasilianische Hausangestellte versucht das Glück zu entzweien und wie das Hauspersonal tratscht und spekuliert. Aber ihr Leben ist sorglos und die größte Gefahr ist die Langeweile. Entscheidend ändert sich die Situation als ein neuer Nachbar einzieht. In seinem Schlepptau die ehemalige Jugendliebe von Rosamaria und Nebenbuhler von Francesc. Die Spannungen nehmen zu. Rodoreda hat einen wunderschönen Stil, der an Poesie dem Coverbild in nichts nachsteht – wundervoll ohne Kitsch zu sein. Ihre Novelle, denn so würde ich das Werk einsortieren, überrascht immer wieder mit der Erzählweise. Mal plätschert sie dahin, so dass der Leser sich an einem heißen Sommertag an einen Strand versetzt fühlt, leicht dösend, beobachtend ohne viel Energie, um dann plötzlich rasant und unberechenbar zu werden – das Gewitter, dass den Strandtag verdirbt. Die sonnigen Lesemomente ziehen sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr. Sind aber für das Gesamtverständnis wichtig, um auch die Langeweile körperlich zu fühlen, die die High Society am Meer erlebt und aus der viele Verstrickungen entstehen. Eindeutiger Wendepunkt der Geschichte ist das Auftauchen der Eltern der Jugendliebe von Rosamaria – eben eine richtige Novelle. Wenn auch nicht so punktgenau wie bei Eichendorff. Unterm Strich hat mich Rodoreda verzaubert – mit dem Abstrich, dass sie es an der einen oder anderen Stelle auch mit Einschläfern versucht hat. Roger Willemsen schreibt in seinem Nachwort, dass ihre Romane im Raum nachhallen, wenn man die letzte Seite geschlossen hat. Das stimmt. Ich gebe neun von zehn Lilien
PS: Hatte ich bereits einmal erwähnt, wie wundervoll die Klassiker-Bände von Mare sind?
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