Marcel Reich-Ranicki hat über Siegfried Lenz gesagt, dass er ein guter Sprinter, aber ein schlechter Langläufer sei. Also Kurzgeschichten und Novellen Top, Romane Flop. Spätestens seit „Deutschstunde“ wissen wir, dass sich der große MRR hier geirrt hat. „Heimatmuseum“ ist der nächste Wälzer, der diese Aussage widerlegt. In dem 800-Seiten Werk geht es um Zygmunt, der von seinem Onkel nicht nur das Faible für Heimatkunde, sondern auch gleich ein Heimatmuseum dazu vermacht bekommen hat. Gemeinsam mit seinem Freund Conny, beide ungefähr 1905 geboren, durchlebt er die Geschichte der Einwohner Masurens von vor dem 1. Weltkrieg, bis zum Neuanfang in der BRD. Lenz ist ein großartiger Erzähler. Er schildert uns Masuren zunächst aus Kinderaugen: Sommer, Sonne, flirrende Hitze, Geborgenheit. Mit steigendem Alter wird die Darstellung der Geschehnisse differenzierter. Den 1. Weltkrieg erleben die beiden Jungs noch als ein großes Abenteuer. Aber dann der Aufstieg des Nationalismus, der in der Volksbefragung gipfelt, Einstellung der deutschstämmigen Bevölkerung zu den Polen, die Nazis, schließlich Flucht und vollständiger Untergang. Lenz weiß, wovon er spricht. Er war Kriegsteilnehmer und stammt aus Masuren. Die zeitgenössische Rezeption – der Roman erschien 1978 – ging nicht schonend mit dem Werk um. Anders als Günter Grass analysiere Lenz nicht, hieß es, sondern stelle nur da. Stimmt und genau darin liegt der große Gewinn des Buches. Wir müssen uns mit der deutschen Geschichte beschäftigen, eigene Urteile fällen. Lenz denkt nicht für uns, er legt uns die Fakten vor und wir müssen sie ins Licht setzen. 800 Seiten fesselnde Literatur. Bereits vor dem Erscheinen waren die Filmrechte vergeben. Es wurde 1988 ein Dreiteiler realisiert. Angesichts der Fülle und Dichte des Romans ist es für mich kaum nachzuvollziehen, warum das Werk nicht in einer neuen Verfilmung vorliegt. Ich gebe aus voller Überzeugung 10 von 10 Schwarzsauer.
berndhinrichs
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