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berndhinrichs

Durchgelesen und mich der Nacht zugewandt – Teil 141




Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. So beginnt Novalis seinen mythischen Gedichtzyklus Hymnen an die Nacht. Was für ein großartiges Stück Literatur. Tief bewegend, auf einem Niveau, das in der modernen Massenliteratur leider vergeblich gesucht wird. Und auch wenn es nicht darum gehen kann, die alten Meister zu kopieren, schaffen es einzelne Werke wie Schwertlilien aus dem Sumpf der literarischen Belanglosigkeit herauszuragen. Helmut Kraussers Thanatos ist ein solcher Blickfang.


In Thanatos lässt und Krausser am Leben und an den Ansichten von Konrad Johanser teilhaben. Johanser ist Archivar am Institut für Deutsche Romantik in Berlin. Seine Ehe liegt in Scherben, seine Geliebte, eine Drogennutte, ist spurlos verschwunden und auf seiner Arbeit hat man ihm die Kündigung in Aussicht gestellt und dass wo der fleißige Archivar dem Ruhm des Instituts durch einige sensationelle Funde – alles Fälschungen von ihm – auf die Sprünge geholfen hat. Johanser verlässt Berlin und reist auf die Schwäbische Alb, zu Tante, Onkel und Neffe: Marga, Rudolf und der Teenager Benedikt. Zum Personentableau vor Ort hinzu kommt noch die Kellnerin Anna aus dem einzigen Wirtshaus im Dorf. Zu Benedikt entwickelt sich von Beginn an eine Rivalität, die zunächst nur mit Hilfe diverser Pakte unter dem Teppich gehalten werden kann. Der Gast genießt die spießige Fürsorglichkeit seiner Tante, amüsiert sich über das verschrobene Hobby seines Onkels – er nimmt mittels Radio Kontakt mit den Toten auf – und kommt allmählich zur Ruhe. Scheinbar. Denn die Nachricht, seine Fälschungen am Institut seien entdeckt, bringen seine Welt ins Wanken und seine Persönlichkeit gleitet gab – abwärts in die Nacht.


Romantisches Gedankengut ist in dem Roman von 1996 allgegenwärtig. Es ist die Stimmung, die Assoziationen hervorruft. Thanatos ist ein fulminantes Werk. Krausser lässt sich viel Zeit beim Erzählen. Breitet seine Geschichte auf über 500 Seiten aus. Das schafft Platz, den Krausser auch braucht. Die Schilderungen der Innenansichten des Protagonisten lassen den Leser teils fasziniert, teils wütend und teils angeekelt zurück. Der Leser merkt ganz langsam, wie Johanser sich in seinem eigenen Wahnsinn verstrickt, wie er Menschen, denen er überlegen ist, für seine Sachen benutzt – wie beispielsweise Berit. Das 16jährige Mädchen geht mit Benedikt zur Schule, der sie ungestüm umwirbt, aber chancenlos bleibt. Für den rund 30 Jahre älteren Johanser eine leichte Beute.


Frauen und Sex spielen beim Archivar eine große Rolle. In seiner Überheblichkeit spielt er mit den Menschen, kann sie für sich gewinnen. Einzig seine Liebe zu Anna bleibt unerwidert. Sie heiratet den brachialen Schankwirt. Das klingt alles sehr nach romantischen Bildern – und das mit voller Absicht. Auch das am Ende des Romans ausgebreitete Rachemotiv bis aufs Blut, ist dem interessierten Leser auch aus romantischen Erzählungen bekannt.

Krausser spielt mit den Bildern der romantischen Epoche. Vor allem mit denen der so genannten Schwarzen Romantik. Typische Themen der Schwarzen Romantik umfassen das Unheimliche und Dämonische, die dunklen Abgründe der menschlichen Psyche bis hin zum Wahnsinn sowie Elemente von Erotik, Gewalt und Tod. Alles Themen, die den Roman auszeichnen. Und nicht zuletzt heißt es im Untertitel: Das schwarze Buch. Auch die langsame Aneignung einer fremden Persönlichkeit, wie sie Johanser widerfährt, ist aus Romanen der Dunklen Romantik bekannt.


Krausser schreibt eine packende Psychogeschichte, die reich an Interpretationsspielraum ist. Die Deutschleistungskurse und die Studenten der Germanistik haben ihre wahre Freude daran. Für alle anderen Leser bietet sich die phantastische Möglichkeit, mit diesem Buch einmal den Kopf aus dem Sumpf der literarischen Belanglosigkeit zu heben. Ich gebe 10 von 10 Todesgötter.

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