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berndhinrichs

Durchgelesen und mit einem Monster gelitten – Teil 153




1818 erschien in England einer der einflussreichsten Romane der letzten 200 Jahre. Geschrieben von einer gerade einmal 21jährigen Frau und zunächst anonym veröffentlicht – Frankenstein oder der moderne Prometheus. Gemeinsam mit dem rund 80 Jahre später erschienenen Dracula von Bram Stoker bildet der Roman den bekanntesten und einflussreichsten Text der Schauerromatik. Der amerikanische Comiczeichner Bernie Wrightson, der vor allem durch seine Horrorgeschichten bekannt geworden ist, war seit jeher von dem Mythos Frankenstein fasziniert. Für ihn stand fest, dass er diesen Klassiker illustrieren musste. Im Wandler Verlag liegt nun aktuell der Roman von Shelly in bibliophiler Ausstattung und mit den atmosphärischen Bildern von Wrightson in deutscher Erstveröffentlichung vor – ein Meisterwerk.


Die Geschichte Victor Frankensteins dürfte durch unzählige Filme und andere Adaptionen des Stoffes hinlänglich bekannt sein. Ein leidenschaftlicher Wissenschaftler verfällt dem Drang, Leben zu erschaffen. Es gelingt ihm schließlich, aus Leichenteilen ein Wesen zu formen und zum Leben zu erwecken. Doch das Geschöpf entpuppt sich als monströs, und Frankenstein flieht entsetzt vor seiner eigenen Schöpfung. Allein und ausgestoßen, entwickelt das Wesen bald einen tiefen Hass auf seinen Schöpfer, der es in diese grausame Welt gebracht hat. Auf der Suche nach Rache tötet es nacheinander Victors Freunde und Familie. Victor, von Schuld und Trauer gezeichnet, jagt schließlich sein Geschöpf durch halb Europa bis in die eisige Arktis, wo sie sich ein letztes Mal gegenüberstehen.

Der vom Wandler Verlag benutzte Text stammt aus der deutschen Erstausgabe von 1912, übersetzt von Heinz Widtmann. Der Verlag ist mit viel Liebe zum Detail bei seiner Ausgabe vorgegangen. Neben einem Goldschnitt hat der Band im DIN A4-Format noch ein Lesebändchen. Im Mittelpunkt dieser Edition stehen aber die 47 Illustrationen von Wrightson, die es so noch nie in Deutschland zu sehen gab. Sie entstammen der 2008 im amerikanischen Comicverlag Dark Horse veröffentlichten US-Edition.


Das bemerkenswerte an Wrightsons Arbeit ist, dass seine Illustrationen mehr einfangen als den Horror der Geschichte. Er zeigt in seinen ganzseitigen Bildern – teilweise auch doppelseitig – auch Szenen, die nicht das Grauen des Romans thematisieren. Landschaftaufnahmen, Frankenstein in seinem Studierzimmer oder das erschaffene Monster in einem stillen Moment. Es sind vor allem die Bilder des Monsters, die zeigen, dass der 2017 gestorbene Comickünstler, den Roman von Shelly eingesogen, verinnerlicht hat. Seine zeichnerische Version von Frankensteins Monsters ist menschlicher als in den meisten anderen Darstellungen – filmischer oder zeichnerischer Art. Damit gibt er dem Ungetüm etwas zurück, dass Shelly ihm einst schenkte: eine Seele. Denn die englische Autorin stellt das Monster als grausam da, aber auch als eines, das nicht allein sein kann auf der Welt. Es will Nähe, eine Vertraute oder einen Freund. Beides darf er nicht bekommen und so endet die Geschichte in der bekannten Tragödie.


Die Ausgabe wird eingeleitet mit einem Vorwort von Stephen King. Das macht Sinn, auch wenn der gegenwärtige Meister des Horrors seiner Vorgängerin attestiert, dass man das Werk eigentlich gar nicht lesen könne, weil man durch die vielen Filmadaptionen verdorben sei und etwas völlig anderes erwarte. Aber schließlich müsse man es doch lesen, weil es einfach ein großartiger Roman sei. Recht hat er. Weitere Angaben zum Werk und Leben der Schriftstellerin runden diesen Band ab.

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