Das Jahresende ist immer die Zeit der großen Betriebsamkeit: Weihnachten steht vor der Tür, mit vollen Taschen durch die Stadt hetzen und beruflich drängeln sich die letzten Termine auf den verbleibenden Tagen. Da ist es schön, wenn man abends auf dem Sofa oder im Bett mit einem fesselnden Buch der hektischen Betriebsamkeit entfliehen kann. Dabei darf der Stoff durchaus gefällig sein – nur nicht ganz so simpel. Ich habe mich zum Beginn der Weihnachtszeit für einen Krimi entschieden – von Britta Habekost Stadt der Mörder. Ein gewagtes Experiment, denn ich bin überhaupt kein Leser von Krimis. Für das Buch spricht hingegen das Setting: Paris in den 1920er-Jahre.
Wir befinden uns im Dezember 1924. Die Bilder des Ersten Weltkrieges, das Gemetzel, das Grauen und das millionenfache Sterben hat sich tief in die französische Gesellschaft eingebrannt. In Paris versucht man zu vergessen, gibt sich dem Amüsement hin. Auch der Ermittler Julien Vioric versucht Herr über seine Erinnerungen zu werden. Nur knapp ist er den Schützengräben in Flandern lebendig entstiegen. Aber der Grabenkrieg hat auch auf seiner Seele Spuren hinterlassen. Als er an einem bitterkalten Abend zum Place du Panthéon gerufen wird, kann er sich nicht vorstellen, was ihn hier erwartet. Den der grausam zugerichtete Leichnam des sechzehnjährigen adeligen Jungen Clément Faucogney weckt in ihm böse Erinnerungen an die zerfetzten Körper des Krieges. Seine Spur führt ihn zur Schwester der Gouvernante von Clément. Ohne es zu ahnen, gerät die junge Frau immer tiefer in eine gefährliche Welt. Geblendet vom Charme der Pariser Künstler und vom Reiz der Stadt, merkt sie nicht, dass sie selbst ins Visier eines tödlichen Gegners geraten ist. Ihr Schicksal ist enger mit den Morden verknüpft, als sie je vermuten würde.
Die Autorin hatte offensichtlich großen Spaß, sich in der Szene der französischen Surrealisten zu bewegen. Diese faszinierende Kunstrichtung, die in den 1920er Jahren entstand und die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit aufheben wollte, brachte Künstler wie Salvador Dalí und René Magritte hervor. Sie ließen sich von Träumen, Fantasien und dem Unbewussten inspirieren. Dabei entstanden Bilder, die oft seltsam oder unlogisch erscheinen – wie schmelzende Uhren oder schwebende Gegenstände. Doch genau das war gewollt, denn der Surrealismus wollte die rationale Ordnung der Welt hinterfragen und einen Blick auf das Verdrängte, Fantastische werfen. Und genauso lässt Habekost den Leser immer wieder im Dunkeln tappen, spielt mit seinen Blickwinkeln und Erwartungen.
Es gelingt ihr in Stadt der Mörder, das Paris der 1920er Jahre vor unseren Augen zum Leben zu erwecken. Die „Stadt der Liebe“ zeigt sich hier von zwei Seiten: von der betörenden Schönheit ihrer Straßen, Plätze und Cafés, aber auch von der brutalen Wirklichkeit, die hinter den Fassaden lauert. In Habekosts Händen wird Paris zu einem faszinierenden Moloch, der gleichermaßen von Gewalt und Vergnügungen durchzogen ist. Stadt der Mörder ist mehr als nur ein Krimi – es ist eine Geschichte, in der Fakten und Fiktion geschickt miteinander verwoben werden. Habekost schafft es, historische Ereignisse und Orte so organisch in die Handlung einzuflechten, dass sie zur Bühne für eine fesselnde Mordserie werden. Die Spannung bleibt bis zur letzten Seite erhalten, während man sich immer tiefer in den Sog dieser gefährlichen und zugleich verführerischen Stadt zieht.
Ein solider Kriminalroman, der durch die atmosphärische Dichte und die gekonnte Mischung aus historischen Fakten und kreativer Fiktion auffällt. Ich gebe acht von zehn Rauschzuständen.
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