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Durchgelesen und Neuland entdeckt – Teil 187

  • berndhinrichs
  • vor 15 Minuten
  • 2 Min. Lesezeit

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Manchmal stoße ich auf Autoren oder Autorinnen, die schon lange kein Geheimtipp mehr sind, deren Werke, ja deren bloße Existenz, bisher völlig an mir vorbeigegangen ist. Dann gebe ich meistens sehr kleinlaut und hinter vorgehaltener Hand zu, dass ich von ihr oder ihm noch gar nichts gehört habe. Den Spott ertrage ich mit Würde und versuche einzuschätzen, ob mir der oder die Neue tatsächlich eine bisher unbekannte und zudem reizvolle Welt aufschließt. Hier mache ich es öffentlich: Richard Powers ist so jemand. Nie gehört, nie gelesen und gäbe es nicht die Büchergilde Gutenberg, so würde ich vermutlich beim Namen Powers auch die nächsten Jahre ein einen ulkigen Spionage-Film-Helden denken – dabei hat sein Roman Das große Spiel alles, was ein großes Buch braucht.


Powers entführt uns auf die andere Seite des Globus – nach Polynesien. Genauer auf die Insel Makatea. Dieses Eiland möchte ein US-Konzern als Standort für ein gewagtes Projekt nutzen: hier sollen künstliche Inselstädte entstehen, die weitab des Festlandes über die Ozeane schippern. In den Strudel dieser Utopie gerade ein paar Menschen und ihre Lebenswege kreuzen sich. Da ist beispielsweise die 92-jährige Kanadierin Evelyne Beaulieu, die ihr Leben dem Tauchen und den Ozeanen gewidmet hat. Oder die Freunde Rafi Young und Todd Keane – der eine ein Büchernarr, der andere ein Computernerd. Rafi ist mit Ina Aroita verheiratet, die eine neue große Plastik erschafft – aus dem angeschwemmten Plastikmüll. Sie alle lässt Powers träumen von einer besseren Zukunft.


Doch Powers begnügt sich nicht mit einer charmanten Utopie oder schrulligen Inselbewohnern. Sein Blick reicht tiefer – bis auf den Grund der Ozeane. Denn ein zentrales Thema des Romans ist die Meeresforschung, genauer: die Ozeanologie. Mit wissenschaftlicher Präzision und erzählerischer Kraft führt er uns in die Welt der Strömungen, Korallenriffe, Mikroorganismen und Tiefseeträume. Makatea, jene entlegene Insel im Pazifik, wird dabei nicht nur zur Bühne, sondern zur Mahnung. Bis in die 1960er-Jahre hinein wurde hier rücksichtslos Phosphat abgebaut – eine koloniale Ausbeutung, die deutliche Spuren hinterlassen hat.


Nun droht neues Unheil – in Form des ambitionierten Großprojekts, das auf den ersten Blick nach technologischem Fortschritt und ökologischer Vision klingt: schwimmende Städte, kreuzend über die Weltmeere. Eine Art postmoderne Arche? Vielleicht. Doch schnell wird klar, dass es um mehr geht: um wirtschaftliche Interessen, um das Ungeheuer Kapitalismus, das auch vor der letzten grünen Oase nicht Halt macht. Powers zeigt, wie Fortschrittsglaube und Ausbeutung zwei Seiten derselben Medaille sein können. Mittendrin: Freundschaften, die an diesen Konflikten zerbrechen. Die Verbindung zwischen Rafi und Todd, anfangs so eng, beginnt zu bröckeln – zu unterschiedlich sind ihre Antworten auf die Frage, wie man mit der Welt und ihren Wunden umgehen soll.


Was Das große Spiel so faszinierend macht, ist diese Mischung aus wissenschaftlichem Anspruch, emotionaler Dichte und politischer Dringlichkeit. Ein Roman, der fordert, der nicht auf jede Frage eine Antwort bietet – und gerade deshalb lange nachhallt. Kein Geheimtipp – aber ein ganz großes Buch. 10 von 10 Mikroplatiken.

 
 
 

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