Es gab eine Zeit, in der ich Bücher auch nach ihrem Cover gekauft habe – die Zeit meiner Buchhändlerlehre. Ein schönes Buchcover und der Band landete in meinem Regal. Wäre damals Der Untergang der Wager erschienen, hätte ich keine Minute mit dem Kauf gewartet. Das Coverbild verspricht Seefahrt und Abenteuer. Dazu der Untertitel Eine wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei. Zack und beim Dealer meines Vertrauens gekauft. Ob das Sachbuch hält was es verspricht? Ich bin gespannt und gehe an Bord.
Die dramatische Geschichte der Wager spielt 1741/1742. Das Segelschiff ist Teil einer englischen Flotte, die aufgebrochen ist, um die Spanier zu schlagen. Bei Cap Horn geraten die Schiffe in einen schweren Sturm, in dessen Folge die Wager an der unwirtlichen Westküste Chiles an einer Insel strandet. Die Schiffbrüchigen kämpfen ums Überleben. Ein knappes Jahr später landet bei der brasilianischen Stadt Rio Grande ein heruntergekommenes Boot. An Bord 30 halb verhungerte verwahrloste Gestalten – die einzigen Überlebenden der Wager. Die Männer werden zurück nach England geschickt. Viele Monate später gehen drei Männer in England an Land: der Kapitän der Wager und zwei seiner Getreuen. Sie behaupten, dass die 30 Männer Meuterer seien, die rücksichtslos gemordet hätten. Wer sagt die Wahrheit und wer lügt?
Der amerikanische Journalist David Grann entblättert für den Leser einen spannenden Kriminalfall. Denn im Fall Wager stehen am Ende Aussage gegen Aussage. Grann macht nicht den Fehler sich wilden Spekulationen hinzugeben. Er stellt gleich zu beginn fest: Ich muss gestehen, dass ich nicht dabei war, als das Schiff auf den Felsen fuhr und die Mannschaft den Kapitän fesselte. Ganz Journalist stellt er die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Ereignisse dar. Er wertet und gewichtet nicht, sondern sieht sich als Chronist. Dabei geht er mit viel Liebe zum Detail vor. Die Schilderungen des Bordlebens, die Hierarchien und die Regeln innerhalb der Gemeinschaft der Teerjacken habe ich nicht oft so lebhaft beschrieben gefunden. Allein dafür lohnt sich das Buch schon. Grann geht den Fragen nach, wie Seeschlachten verlaufen, wie die Versorgung der Mannschaft aussieht oder wie es mit der Hygiene an Bord steht? Informativ und spannend zugleich.
Dazu kommen detaillierte Schilderungen des Überlebenskampfes. Wie kann eine Besatzung auf einer Insel überleben, auf der es nichts gibt, außer Regen, Schnee und Stürme? Wie organisiert sich die Bordgemeinschaft an Land neu? Grann liefert hierzu Antworten. Da einige Überlebende des Schiffsunglücks nach ihrer Rückkehr in die Heimat die begierige Öffentlichkeit mit ihren persönlichen Erinnerungen versorgten – sei es als Buchveröffentlichung oder als Zeitungsbericht – mangelt es nicht an Augenzeugenberichten. Vor allem die steigende Bedeutung der Zeitungen trug wesentlich zu einer öffentlich geführten Schulddebatte bei. Hervorragend und spannend von Grann herausgearbeitet.
Der Untergang der Wager besticht durch seine großen Detailreichtum und seine spannende Erzählweise. Satte zehn von zehn Kanonendecks.
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