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Durchgelesen und Schollen im Watt gejagt – Teil 132




Geschichten, die im Nationalsozialismus spielen, wecken immer mein Interesse. Wenn sie dann noch im Norden angesiedelt sind, an der Küste, bin ich fast immer als Leser dabei. Nicht umsonst zählt Siegfried Lenz Deutschstunde zu meinen Lieblingsbüchern. Die Geschichte angesiedelt an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste während des Zweiten Weltkrieges hat eine großartige Atmosphäre – so norddeutsch, so klar in seiner Aussage und so wundervoll geschrieben. Hark Bohms Amrum spielt in der gleichen Zeit auf der selbigen Nordseeinsel.


Worum geht es in Amrum? Der 10-jährige Nanning lebt mit seiner Mutter, seinen zwei Geschwistern und seiner Tante auf der Nordseeinsel. Der Krieg befindet sich in den letzten Wochen, Berlin kurz vor dem Fall. Geschildert wird die Zeit des Zusammenbruchs des Dritten Reiches und die ersten Monate der Besatzung. Nannings Familie ist streng auf Linie. Sein Vater bei der SS in Hamburg, seine Mutter Führerin beim BDM. Gemeinsam mit seinem Freund Hermann durchstreift er die Insel, immer auf der Suche nach was Brauchbarem. Nicht alle Insulaner heißen die Regimetreue von Nannings Familie gut. Der Riss geht mitten durch die kleine Inselgemeinschaft, ja sogar durch die Familie. Denn seine Tante Ena sympathisiert wie viele andere Amrumer nicht mit dem Regime. Viele haben die Insel längst verlassen und sind in die USA ausgewandert, kämpfen jetzt in der US Army gegen die Wehrmacht.


Hark Bohm ist laut Buchumschlag einer der bekanntesten Regisseure und Drehbuchautoren Deutschlands. Diese Profession merkt man auf jeder Seite. Bohm schildert in einer ganz nüchternen Sprache, kurze Sätze. Vieles wirkt bei ihm eher wie eine szenische Beschreibung. Vielleicht hatte er da schon viel zu sehr eine cineastische Adaption im Kopf? Da hilft ihm auch die Co-Autorenschaft von Philipp Winkler nicht. Wobei ich mich in solchen Fällen immer frage, welcher der beiden Autoren welchen Part beim Schreiben übernommen hat. Das wird wohl auf ewig das Geheimnis der beiden bleiben. Fest steht aber, dass viele Schilderungen einfach zu wenig Tiefe haben. Dass der Roman gerade für seine genauen Beschreibungen und seine Feinfühligkeit in den Rezensionen gelobt wird, ist für mich unverständlich.


Die Charaktere bleiben bei Bohm deshalb auch etwas schwach und blass. Der Leser folgt Nanning auf seinen Wegen. Allerdings bleiben seine Gedanken, seine Vorstellungen oder seine Wünsche im Verborgenen. Blohm lässt uns nicht teilhaben daran. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches, Amrum ist durch die englische Armee besetzt, hätte ich mir mehr Innenansichten gewünscht. Was fühlt, was denkt ein 10-jähriger Junge, im Nationalsozialismus erzogen, wenn er englische Soldaten sieht und die Hälfte der Dorfgemeinschaft sie als Befreier feiert. Das kommt definitiv zu kurz.


Was mir gut gefallen hat sind die Beschreibungen des Insellebens. Bohm weiß, wovon er schreibt, denn der heute 85-jährige wuchs auf Amrum auf. Deshalb dürften ein Großteil seiner Darstellungen auf Eigenerlebten basieren. Das sind spannende Einblicke gewiss und tragen auch über die insgesamt 300 Seiten des Romans. Unterm Strich gebe sechs von zehn Schollen.

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