Explosionen, Raumschlachten, eindimensionale Helden – das reicht offenbar, um Millionen von Lesern zu befriedigen. Aber für diejenigen, die sich nicht mit diesem Schrott abspeisen lassen wollen, gibt es eine andere Klasse von Science Fiction: Intelligent, anspruchsvoll und fordernd. Diese Geschichten bieten keine billigen Lösungen, sondern stellen unbequeme Fragen, die weit über die typischen Klischees hinausgehen. Während die Masse sich mit geistlosem Popcorn-Kino in Buchform begnügt, gibt es Werke, die das Genre zu dem machen, was es sein könnte: eine gnadenlose Spiegelung unserer Realität und Zukunft, die den Leser herausfordert, statt ihn in einem Feuerwerk der Belanglosigkeit zu ersticken. Ein solcher Autor ist Wolfgang Jeschke, der mit seinem Der letzte Tag der Schöpfung einen modernen Klassiker vorgelegt hat.
In Der letzte Tag der Schöpfung dreht sich alles um ein gewagtes Projekt: Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern und Militärs hat eine bahnbrechende Technologie entwickelt, die Zeitreisen möglich macht. Ihr Ziel ist kühn – sie wollen tausende Jahre in die Vergangenheit reisen, um unter dem Mittelmeer das Rohöl abzupumpen und es ins Erdreich der USA zu leiten. Damit wären gleich mehrere Probleme auf einmal gelöst, so das Kalkül. Erstens die Energiekrise und zweitens die daraus resultierende Abhängigkeit von der arabischen Welt. Eine Lösung für viele Fragen und zu lohnend, als dass der Plan aufgegeben werden kann. Jedoch stellt sich heraus, dass der Zeitsprung bei weitem nicht so punktgenau möglich ist, wie berechnet. Und Taten der Vergangenheit verändern die Zukunft. Nicht alle Teilnehmer des Wahnsinns-Projekt kommen deshalb aus der gleichen Zukunft. Was als präzise Operation gedacht war, versinkt so im Chaos. Zumal Zeit sehr geduldig ist und die Amerikaner nicht die einzigen waren, die die Zeitreise realisiert haben. So werden aktuelle Konflikte mit in die Anfangszeit der Menschheit genommen.
Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tschechien, war eine treibende Kraft der deutschen Science-Fiction. Aufgewachsen im Nachkriegsdeutschland, fand er schon früh seine Leidenschaft für Bücher. Seit 1970 war er als Herausgeber beim Heyne Verlag tätig. Dort revolutionierte er die deutsche Science-Fiction-Szene, indem er internationale Werke übersetzte und heimische Autoren förderte. Im Juni 2015 starb Jeschke. Während seiner aktiven Zeit machte er aber nicht nur als Herausgeber machte er von sich reden: Mit Romanen wie Der letzte Tag der Schöpfung eroberte er die Herzen der Science-Fiction-Fans. Seine Geschichten waren immer mehr als bloße Abenteuer – sie stellten tiefgründige Fragen nach dem Wesen von Zeit, Technologie und menschlicher Verantwortung.
Mit seinem 1981 veröffentlichten Roman Der letzte Tag der Schöpfung zeigt er, dass spannende Unterhaltung auch intelligent gemacht sein kann und dafür den üblichen Handlungsstrom einfach mal verlassen muss. Allein der Einstieg in die Geschichte ist genial. Der Autor lässt sich sehr viel Zeit dabei. Er breitet das Setting ganz allmählich aus, gibt Hinweise und steigert die Neugier ins schier unermessliche. Dafür lässt er „Spuren“ der Vergangenheit auftauchen. Etwa eine heilige Reliquie, die einem Atemschlauch ähnelt, wie ihn Piloten an ihren Masken haben und der über 10.000 Jahre alt ist. Oder ein Streitwagen, der bei genauerer Betrachtung vielleicht doch eher ein Jeep ist. So zieht Jeschke uns immer tiefer rein in seine Gedankenwelt.
Der atmosphärisch dichte Roman knüpft an die großen Klassiker von Jules Verne bis H. G. Wells an. Jeschke brilliert in der Schilderung der Mittelmeersenke. Die menschenleeren Weiten, die es eigentlich geben sollte, sind zum Schauplatz einer Auseinandersetzung geworden, die auch mit atomaren Waffen geführt wird. Dabei lässt er den Leser ganz am Angang der Geschichte komplett im Dunkeln tappen, wer Freund und wer Feind ist. Nach den Spuren des ersten Teils, wird der Leser aus seiner besinnlichen Betrachtung der Artefakte im wahrsten Sinne des Wortes herausgebombt. Ein grandioser Bruch innerhalb der Geschichte. Am Ende gelangt der Leser wieder an den Anfang: Er sieht die große menschenleere Weite: Afrika und Europa, die unbesiedelt sind. Alle Möglichkeiten stehen offen. Wäre am Ende nicht doch der Krieg, den Jeschke in schokierender Art und Weise noch einmal zu Wort kommen lässt.
Jeschkes klare und präzise Sprache lässt uns immer am Ball bleiben. Er erspart uns langatmige technischen Darstellungen und Erläuterungen. Zunächst geht es darum eine spannende Geschichte zu erzählen – und das beherrscht Jeschke. Ich habe den Roman das erste Mal zu meinem 16. oder 15. Geburtstag geschenkt bekommen und ihn jetzt noch einmal gelesen. Die Geschichte hat mich wieder so begeistert, wie beim ersten Mal lesen vor annähernd 40 Jahren. Kann es ein größeres Lob geben? Ich gebe wieder zehn von zehn Spuren.
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