Als mein Sohn fünf Jahre alt war, stand ich mit ihm in unserem kleinen Bad, dass sich damals noch – im Gegensatz zum Rest des Hauses – im Sanierungszustand befand. Zementsäcke, verpackte Badmöbel, ein Stapel neuer Fliesen. Mein Sohn blickte sich um, seufzte und fragte mich mit neugierigem Blick: „Machst Du das Bad noch fertig, bevor du stirbst, Papa?“ Ich wusste sofort, das meinte er ernst. Dem ersten Lachen wich die Erkenntnis, dass auch mein Leben zu Ende gehen wird. Aber: Was will ich hinterlassen? Ein fertiges Bad? Meine Bücher? Kluge Ratschläge über Glück und Liebe? Genau davon handelt Bernhard Schlinks neuer Roman „Das späte Leben“: vom Abschiednehmen, von Trauer und davon, was man den Hinterbliebenen noch mit auf den Weg geben soll. Es ist ein verstörendes und zugleich sehr wichtiges Buch. Vermutlich ist es nicht ein Buch, dass einem von dem großen Trubel um uns ablenkt und kein Strandbuch – aber es ist ein Buch, das nachhallt.
Zum Inhalt: Martin ist sechsundsiebzig Jahre alt und bekommt von seinem Arzt mitgeteilt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er ein schönes Leben geführt: emeritierter Professor, verheiratet mit einer jungen Frau, mit der er einen sechsjährigen Sohn hat. Geschockt von der Diagnose braucht er nur ein paar Tage, um sich neu aufzustellen. Er beginnt sich Gedanken zu machen, wie er seine verbleibende Zeit nutzen will und vor allem, was er seinem Sohn mit auf den Weg in sein Leben geben will. Als er durch Zufall mitbekommt, dass seine Frau eine Affäre hat, gerät seine Welt neuerlich ins Schwanken.
Das war keine leichte Lektüre. Denn Schlink richtet mit seinem Roman viele Fragen an den Leser: Was würdest Du machen? Was hinterlässt Du den Menschen, die Du liebst? Wird Dein Leben einen Nachklang haben? Alles keine einfachen Fragen. Schon die Beschäftigung damit tut weh, denn sie setzen voraus, dass man seine eigene Endlichkeit akzeptiert. Und tatsächlich konnte ich an mir eine spannende Veränderung feststellen. Meine Distanz zur Romanfigur Martin verringerte sich Seite für Seite. Je weiter ich in die Welt des Protagonisten eintauchte, umso empathischer ging ich mit seinen Gedanken um.
Dabei ist das Werk von Schlink ein Mutmacher – denn selbst die Affäre seiner Frau lässt Martin nicht verzweifeln. In seiner fabelhaft präzisen Sprache lässt uns Schlink nicht mit der Trauer um das endliche Leben alleine. Er bietet uns Gedankenmodelle an, die uns im hier und jetzt ankommen lassen – und er macht es sich nicht so einfach nur das vielzitierte „cape diem“ zu bemühen. So möchte Martin als Mann des Wortes beispielsweise seinem Sohn einen Brief hinterlassen. Seine Frau rät ihm dazu. Er starrt auf das weiße Blatt und fragt sich, was er aufschreiben soll. Er verfasst am Ende einen philosophischen Brief, in dem er ihm von Liebe und Glück berichtete. Erst sehr viel später merkt er, dass er seinem Sohn vom Leben berichtet hat, das er sicher sowieso auf die eine oder andere Weise erfahren wird – ein überflüssiger Brief. So entwickelt sich Schlinks Roman über den Tod und die Endlichkeit unseres Daseins zu einem lebensbejahenden Werk.
Das Badezimmer im Haus in dem mein Sohn wohnt ist übrigens immer noch nicht fertig. Aber man muss ja auch noch Pläne für die Zukunft haben, denn das Leben ist schön. Ich gebe Schlinks „Das späte Leben“ acht von zehn Rasierbriefen.
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