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berndhinrichs

Durchgelesen und unter modernen Sklaven gelebt – Teil 115




Last Call Manila von Jose Dalisey ist ein überaus merkwürdiges Buch. Damit will ich nicht gesagt haben, dass es ein schlechtes Buch ist, es ist merkwürdig. Dalisay ist einer der bekanntesten und angesagtesten philippinischen Autoren. Der Roman spielt auf den Philippinen und erschien bereits 2008 unter dem viel besseren Titel Soledad's Sister. Es geht um die Nachtclubsängerin Rory, die vom Polizisten Walter Zamora erfährt, dass am Flughafen ein Sarg angekommen sei, in dem sie laut Frachtpapiere liegen soll. Schnell stellt sich heraus, dass in dem Sarg Soledad – Rorys Schwester – liegt, die als Haus- und Kindermädchen in Saudi-Arabien arbeitet. Zamora und Rory machen sich auf den Weg zum Flughafen, um den Sarg in Empfang zu nehmen.


Klingt nach einem spannenden Krimi vor exotischer Kulisse? Ist es aber nicht. Dem 70jährigen Autor liegt nichts ferner, als dem Leser eine spannende Geschichte für ein unbeschwertes Leseerlebnis zu liefern. Dalisay möchte mit seiner Geschichte aufmerksam machen auf den Alltag der Filipinas und Filipinos zuhause und in der Fremde. Er schildert die aussichtslosen Machtverhältnisse und wie die Menschen in ihnen und mit ihren persönlichen Träumen leben können.


Aus zweierlei Gründen habe ich eingangs davon gesprochen, dass der Roman Last Call Manila überaus merkwürdig ist. Da ist zum einen die Länge. Der Band hat etwas mehr als 200 Seiten. Eine kurze Geschichte, was angesichts der komplexen Probleme, die in ihm beschrieben werden, zu Problemen führt. Zumal sich der Klappentext in der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg (im freien Handel ist der Roman im Transit Verlag erschienen) auf die äußere Rahmenhandlung beschränkt. Aus meiner Sicht ein unverzeihlicher Fehler, der – wie ich leider erst später mitbekam – der deutsche Originalverlag nicht gemacht hat. Denn die Geschichte von Rory, dem Polizisten und dem Sarg ist völlig nebensächlich. Es geht darum, was sie erlebt haben, wie sie wurden, was sie sind.


Und daran schließt sich der zweite merkwürdige Punkt an: Nicht nur, dass der Roman viel zu kurz ist, aufgrund der falschen Vorstellungen über das Buch (bedingt durch den Klappentext) habe ich rund die Hälfte des Romans gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen. Ständig habe ich mich gefragt, wo der Autor mit dem Leser hin will. Das ist sehr schade und ich werde ihn sicherlich noch einmal lesen, um ihn dann voll und ganz erfassen zu können. Denn der Roman ist es wert, dass man ihn genauer und intensiver liest. Dalisay entlässt den Leser mit einem der frustrierendsten Sätze, die mir in den letzten Jahren untergekommen sind – Achtung Spoiler! Auf die Frage, wie die Pathologie in Manila mit Leichen umgeht, deren genaue Todesurasache nicht zu ermitteln ist, antwortet der Pathologe: In solchen Fällen – außer sie sind Mitglied der königlichen Familie oder Leute mit Einfluss – behalten wir die Leiche drei Tage und lassen sie dann wegbringen. Nachfrage: Einfach so? Antwort: Einfach so. Denn niemand interessiert sich für das Schicksal der Millionen philippinischen Dienstmädchen, Werfarbeiter, Matrosen, Bauarbeiter, Bergwerksarbeiter oder Nutten überall auf der Welt. Sie werden ausgenutzt, vergewaltigt und missbraucht. Einfach so – und die Welt schaut zu.


Ich gebe dem Roman sieben von zehn Jeepneys. Wobei die Abzüge mit der Kürze des Romans und den falschen Erwartungen aufgrund des Klappentextes zustande kommen.

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