Ich habe es getan! Es ist unverzeihlich, aber ich habe ein Taschenbuch gelesen. Das mir das noch mal passiert. Ein Urlaub war nötig dafür, dass ich über meinen Schatten springen musste. Ich habe von Heinz Strunk Ein Sommer in Niendorf als Taschenbuch gelesen. denn nach wie vor stehe ich zu meiner Meinung, dass Kultur richtig verpackt gehört. Es würde ja auch niemand in Hawaiihemd, Badehose und Slipper ins Theater gehen. Und gute Bücher gehören eben in bibliophiler Ausstattung. Das bringt mich zu der spannenden Frage. Ist der Roman von Strunk so gut, dass ich ihn mir nachträglich als gebundenes Buch holen werde?
In Ein Sommer in Niendorf lernen wir Markus Roth kennen. Beruflich erfolgreich, aber privat ausgebrannt nimmt er sich eine Auszeit an der Ostsee – in Niendorf. Ganz relaxen will er aber nicht, sondern Roth hat ein Buchprojekt vor. Er möchte seine Familiengeschichte aufschreiben. Dafür hat er eigens im Vorfeld ausführliche Interviews geführt. Seine erste Bekanntschaft vor Ort ist der Verwalter, von dem er den Wohnungsschlüssel übernimmt: Breda. Ein Allrounder: Verwalter, Strandkorbvermieter und Inhaber eines Schnapsgeschäftes. Breda ist aufdringlich, ungehobelt und sucht die Nähe von Roth. Dieser kann sich zu Beginn noch auf seinen schriftstellerischen Plan konzentrieren, gerät aber immer mehr unter den Einfluss von Breda und versinkt immer mehr im Suff. Bis er merkt, dass er sich alleine nicht mehr befreien kann.
Ich weiß nicht warum, aber Strunk war für mich immer ein Autor lustiger Bücher. Liegt vermutlich an seinem Erfolg Fleisch ist mein Gemüse. Vielleicht hätte ich mal realisieren müssen, dass Der goldene Handschuh ebenfalls von ihm ist. Hier wie auch in seinem Niendorf-Roman gelingt Strunk eine Studie von einem Milieu, mit dem niemand etwas zu tun haben will. Breda führt uns in dieses Milieu ein. Roth reagiert genauso, wie die meisten es tun: Er ist angewidert, will nichts zu tun haben mit ihm. Aber Langeweile und Neugier treiben ihn in seine Falle.
Strunk macht das sehr geschickt. Führt den Leser langsam immer tiefer in den Abgrund. Dabei ist der Roman flüssig zu lesen. Strunk ist kein Sprachjongleur. Seine Sätze sind einfach, klar und verlangen dem Leser nicht viel ab. Es gibt seltsame Wendungen, die mitunter auch nicht wirklich geklärt werden: Der Unfall von Roth nachts im Auto, seine erwachende Liebe – wenn es denn eine ist – zu Bredas Freundin – viele Ereignisse werden uns nur um die Ohren gehauen und nicht erklärt. So bleibt bei mir am Ende die Frage: Was soll der Roman uns sagen? Soll der Verfall eines Menschen gezeigt werden? Oder mache nie Urlaub in Niendorf? Oder Vorsicht: Alkohol verdirbt den Charakter? Ich weiß es bis heute nicht.
Ich glaube nicht, dass ich mir den Roman noch als gebundenes Buch holen werde. Dafür fehlt mir etwas. Gute Geschichte mit kleinen Schwächen und belanglose Sprache. Ich gebe sieben von zehn Strandkörben.
Ich kann Deiner Rezension nur zustimmen, Bernd. Gelesen habe ich Einen Sommer in Niendorf nur wenige Kilometer nördlich vom Ort des Geschehens entfernt. Viele Beschreibungen des sommerlichen Getümmels unterschreibe ich. Allerdings überkam mich, je weiter der Verfall des Dr. Roths vorrangig, ein Ekel, gleich ob der vulgären Sprache, als auch des so überzogenen Sittengemäldes. Ob das nun in die Kategorie Thomas Mann einzuordnen ist, ich weiß es nicht. Eins schafft das Buch auf jeden Fall. Es hat mit definitiv die Lust auf ein kühles Glas Weißwein samt Blick auf die Lübecker Bucht genommen 😂