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berndhinrichs

Durchgelesen und Verständnis gehabt – Teil 95


Ich habe Verständnis für das Buch. Verständnis für Ingeborg Bachmann. Die österreichische Lyrikerin, geboren 1926, veröffentlichte 1946 ihre erste Erzählung in einer Zeitung. Sie wird sich wie jede junge Schriftstellerin oder Schriftsteller die Frage gestellt haben, wie soll man angesichts des schier unfassbaren Grauens weiter Romane schreiben? An wen soll sich die junge Generation halten? An die Emigranten, die 1933 oder in den Jahren danach geflohen sind? Oder die daheim Gebliebenen – mehr oder weniger verbandelt mit dem Regime der Nationalsozialisten? Für diese Generation gab es nur ein Ausweg: Bruch mit den Konventionen. Paul Celans berühmtes Gedicht „Todesfuge“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ende 1944 bis Anfang 1945 entstanden, erschien es erstmal 1948 auf deutsch und markiert einen Neuanfang – eben einen Bruch mit den Konventionen.


Bachmanns „Malina“, viele Jahre später 1971 veröffentlicht, ist ebenfalls ein Beispiel dafür. Für den klassischen Romanleser ist es ein ungewöhnliches Werk. Das beginnt schon bei der Sprache. Denn Bachmann hat 1953 den Preis der Gruppe 47 für ihre Lyrik bekommen. Dass sie Lyrikerin ist, lässt sich bei den verwendeten Bildern und bei der Sprache in ihrem einzigen Roman nicht verleugnen. Sie schreibt ihn als Lyrikerin. Das macht das Lesen nicht einfacher. Die eine oder andere Stelle musste ich entsprechend mehrmals lesen, um sie für mich zu erschließen – bei einigen Stellen gelang es mir gar nicht.


Das trifft vor allem auf das zweite Kapitel des Buches (insgesamt hat es drei) zu – „Der dritte Mann“. Insgesamt nimmt das Kapitel rund ein Viertel des Romans ein und besteht fast ausschließlich aus Traumsequenzen. Dort spielt ein „Vater“ eine wichtige Rolle, der laut Kindlers Literaturlexikon eine Personifizierung des gewalttätigen Nationalsozialismus ist. Das habe ich nicht gesehen. Vielleicht ist das so gewollt. Für mich sind Traumsequenzen in der Literatur eher nervig. Ich habe immer den Eindruck, Träume werden dann umschweifend geschildert, wenn der Text ausgedehnt werden muss oder mit dem Hammer philosophiert werden soll.


Der erste Teil – betitelt mit „Glücklich mit Ivan“ – nimmt rund die Hälfte des Romans ein. Hier beschreibt Bachmann in Form der Ich-Erzählerin, wie eine Frau zwischen zwei Männern steht. Einerseits Ivan, der im Haus gegenüber wohnt und bei einem Kreditinstitut arbeitet, und andererseits Malina, einem Militärhistoriker, mit dem sie zusammenwohnt. Sie beschreibt eine toxische Liebe, eine Abhängigkeit. Denn sie kann nicht ohne Ivan, sehnt sich nach mehr. Er erwidert zwar ihre Gefühle, kann sich aber nicht auf ihre tiefe Emotionalität einlassen. Bachmann beschreibt detailliert, wie weh diese Liebe tut. Im dritten Teil des Romans – „Von letzten Dingen“ – versucht die Ich-Erzählerin ihr Leben neu aufzunehmen. Die Erinnerungen aus dem zweiten Teil sind in ihr Unterbewusstsein eingedrungen und sie versucht sich neu zu definieren. Existenzialistisch stellt sie fest, wie schon vor ihr Jean Paul Sartre in „Das Spiel ist aus“, dass eine Veränderung kaum gelingen kann – es kommt zur Katastrophe.


Trotz aller Strecken, trotz aller unentschlüsselbaren Metaphern halte ich Ingeborg Bachmanns „Malina“ für ein lesenswertes Buch. Sogar für ein Buch, dass man gelesen haben sollte. Denn es steht für die junge deutschsprachige Literatur nach dem Krieg. Es steht für die Gruppe 47 und was sie wollte. Es steht für eine Generation, der man die Jungend gestohlen hat. Deshalb gebe ich acht von zehn Ungargassen.

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