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Durchgelesen und zur Jagd geblasen – Teil 164

berndhinrichs



Neulich habe ich im Internet mal Großwildjagd eingegeben. Erstaunlich was da kommt. Da ist von den richtigen Büchsen die Rede, von den notwenigen Projektilen und von Abschusslizenzen, die nicht einfach zu bekommen sind. Es fallen Namen wie Elefanten, Büffel, Flusspferde, Löwen und viele andere afrikanische Wildarten. Das ist für mich eine absolut fremde Welt – ohne hier eine moralische oder ökologische Bewertung vorzunehmen. Als ich ein paar Tage später den Roman Trophäe von Gaea Schoeters in den Händen hielt, musste ich zugreifen. Ich hatte die Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, die meiner Meinung nach markantere Version ist bei Zsolnay in einem steppengras-gelben Titel erschienen.


Die belgische Schriftstellerin Schoeters entführt uns in das gegenwärtige Afrika. Der wohlhabende Geschäftsmann Hunter White – welch ein Name für einen Amerikaner – geht auf Großwildjagd. Sein Ziel ist es, endlich ein Nashorn zu erlegen, um die „Big Five“ voll zu bekommen: Elefant, Kaffernbüffel, Löwe, Leopard und eben Nashorn. Organisiert wurde die Jagd von Hunters Freund van Heeren. Doch kurz bevor er sein Nashorn vor die Flinte bekommt, wird das Tier von Wilderern erlegt. Hunter ist niedergeschlagen und traut sich nicht mit leeren Händen nach Hause. Da macht ihm van Heeren ein Angebot: die Jagd auf einen Buschmann – die „Big Six“ des professionellen Jägers.


Ein Plot, bei dem ich nicht wusste, was ich denken sollte: Kitsch, Provokation oder einfach nur zum Übel werden? Sicherlich kein Strandbuch. Nichts für schwache Nerven. Seit ich den Blog betreibe hatte ich noch nie so große Probleme meine Gedanken zu einem Buch zu formulieren. Die Ungeheuerlichkeit des Dargestellten einerseits und das Fesselnde der Darstellung andererseits lässt mich hin und her pendeln – zwischen Abscheu und Faszination.


Trophäe ist das Psychogramm eines Mannes aus „dem Westen“, der sich in Afrika bewegt. Dabei hat er nie Afrika kennengelernt. Einer der örtlichen Guides, die ihn bei der Nashornjagd begleiten, sagt, dass Hunter nie in Afrika gewesen sei. Denn der Ort, den er besuche, sei eine koloniale Fata Morgana, eine Phantasie aus dem Blick eines Weißen ohne Bezug zur Realität. Hunter selbst erklärte an einer Stelle sogar, dass er Afrika hasse, der Kontinent ihm aber höchstes Jägerglück verspreche.


Ist der Roman, der mit seiner perfiden Abnormalität bei vielen Lesern sicherlich dazu führt, dass sie nach wenigen Seiten aufhören zu lesen, nichts weiter als eine Kritik am Kolonialismus? Tatsächlich ist dies eines der Hauptantriebe der Autorin, wie sie in einem Interview auf der Verlagsseite erläutert: „Hunter, wie die meisten Menschen aus dem Westen, betrachtet sich selbst als der lokalen Bevölkerung moralisch überlegen, aber er übersieht, dass seine moralischen Vorstellungen in einer vollkommen anderen Welt womöglich gar nicht funktionieren würden.“ Es ist dem großen erzählerischem Geschick der Autorin zu verdanken, dass diese Buchprojekt nicht krachend scheitert. Sie taucht tief in die Psyche von Hunter ein. Lässt uns beispielsweise teilhaben an seiner Kindheit, in der er von seinem Opa und seinem Vater zum Jäger gedrillt wurde. Beide hatten kein Erbarmen mit ihm, der eine angeschossene Wildsau mit den Händen die Kehle durschneiden musste. Er sollte hart werden. Sie lässt uns aber auch teilhaben an seinen Zweifeln und an seinen emotionalen Schwankungen im Laufe der Jagd.


Schoeters entwickelt in ihrem überaus spannenden Roman mit Hunter eine höchst komplexe Persönlichkeit. Wir folgen seiner Faszination für die Jagd, erleben ihn mit seiner moralischen Ablehnung der „Big Six“ und wie sich diese in Luft auflösen. Van Heern bedient sich da perfiderweise den gleichen Argumenten, denen sich Großwildjäger auch bedienen: Das Geld komme den Menschen vor Ort zu, es helfe dort Krankenhäuser und Schulen zu bauen. Gänsehaut und Übelkeit garantiert.


Dabei bedient sich die 1976 geborene Autorin einer Sprache, wie ich sie in dieser Dichte schon lange nicht mehr gelesen habe. Bereits ausgezeichnet hat sie mich mitgerissen – so detailliert, dass es wehtut. Eine großartige Leistung. Jeder Satz ein Treffer – wohlformuliert und bildreich. Die Menschen, die Landschaft und Hunter: alles entsteht absolut plastisch vor dem inneren Auge. Dabei bedient Schoeters keine Klischees, sondern entwirft ein realistisches Bild der Großwildjagd in Afrika.


Im Internet habe ich gelesen: „Neben der Herausforderung bietet die Großwildjagd exklusive Trophäen, die einen besonderen Reiz ausüben.“ Ich war zwar noch nie und werde auch nie an einer Großwildjagd teilnehme. Meine Trophäe ist indessen der herausragend gute Roman von Schoeters – trotz aller Abscheu. Ich gebe zehn von zehn !Nqate.

 
 
 

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