Es gibt zwei Arten von Buchhandlungen. Da haben wir auf der einen Seite die Läden, die mit einem anspruchsvollen Sortiment aufwarten und ich darf mit Stolz behaupten, in so einem habe ich meine Ausbildung absolviert. Zehn Minuten dort und der eigene Bücherstapel ist um zwei oder drei Titel gewachsen. Nennen wir das den Sortimentsbuchhandel. Hier kann man fast blind darauf vertrauen, dass die angebotene Ware ein gewisses Qualitätsmanagement durchlaufen mussten. Und dann haben wir da die Buchhandlungen, bei denen man sich fragt, ob es Spielzeugläden, eine Filiale von Nanu Nana oder vielleicht doch Einrichtungshäuser sind? Nennen wir diese Läden einfach Wurstbuden. Neben Kuscheldecken, Merchandisingartikeln zu irgendeinem Kinderbuch mit einem Zauberer und Teebechern, findet der geneigte Kunde den ganzen Schrott, der zwischen blümeranten Buchdeckeln gedruckt werden darf.
Fast schon hinterhältig ist es, wenn es ein Buch scheinbar unbemerkt aus der Kategorie „Wurstladen“ in den Bereich „Sortimentsbuchhandel“ schafft – das Qualitätsmanagement also komplett versagt hat. So geschehen mit dem Werk Die Buchverliebten von Anja Baumheier. Das Buch kam als Geschenk zu mir. Gekauft in einer sehr angesehenen Sortimentsbuchhandlung im Rheinland und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Baumheier schildert uns die Geschichte von Gesa Grambek und Ole Oevermann. Gesa war früher eine Leseratte. Doch als ihre große Liebe starb, konnte sie nicht mehr ihrer Leidenschaft frönen und mied Bücher, wie der Teufel das Weihwasser. Und zwar mit der gleichen Intensität. Sie bekam Zuckungen und Ohnmachtsanfälle, wenn sie zufällig einmal einen Buchladen betreten musste. Glaubt man nicht? Ist aber so! Bei Ole hingegen ist es genau andersherum – ach herrje. Er hat nie gelesen, bis seine große Liebe bei einem Unfall starb und er ihre Buchhandlung übernommen hat. Doch seit einiger Zeit gehen die Geschäfte schlecht für ihn. Dass ist auch bei Gesa so, die Buchversicherungen verkauft. Auch bei ihr droht der Jobverlust. Da lernen sich beide kennen.
Wer beim Lesen der Inhaltsangabe schon denkt: „Mein Gott, was für eine Schmonzette“, hat das ganze Grauen noch nicht erfassen können. WDR 2 feierte das Werk in einer Besprechung als „eine Hommage an das Lesen“. Und wer jetzt glaubt, so ein Blödsinn könne ja nur von Elke Heidenreich oder Christine Westermann kommen, den muss ich leider enttäuschen. Der Tipp kam von einer Buchhändlerin aus dem Sendegebiet. Klartext: Die Buchverliebten ist keine Hommage an das Lesen, sondern eine Hommage an die Stumpfsinn. Und leider haben die Menschen immer weniger eine natürliche Resilienz gegen Stumpfsinn - weswegen solche Bücher auch erfolgreich sein können. Denn mal abgesehen von einem Plot, den ich persönlich als Beleidigung empfinde, ist es auch einfach schlecht umgesetzt.
Beispiel: Beim WDR heißt es in derselben Rezension, dass die Figuren im Roman liebevoll gestaltet seien und wie aus dem Leben gegriffen wirken. Dabei muss berücksichtigt werden, dass alle handelnden Personen kurz vor der Rente stehen und ein gewisses Lebensalter erreicht haben dürften. Frau Baumheiser schreibt ihnen aber Dialoge und Handlungen auf den Leib, die selbst bei einer Horde Teenager im Cola-Rausch unglaubwürdig wirken. Da hilft es auch wenig, wenn immer wieder darauf hingearbeitet wird, dass vor allem Gesa verliebt ist – von Beginn an. Ich habe mich gefragt, was die beiden in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens eigentlich für Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich gesammelt haben. Es klingt eher so, als hätten sie völlig isoliert gelebt – auf einer einsamen Insel, einem fernen Planeten oder in einem Keller. Aber nein, dass kann ja nicht sein, denn beide hatten ja eine ach so gute Beziehungen vorher. Im Ernst, da hat mich der Kinderbuchklassiker Ben liebt Anna von Peter Härtling auch als Erwachsener mehr in romantische Stimmung versetzt, als das Geschreibsel. So viele Augenroll-Smileys, wie man machen möchte, gibt es selbst digital nicht.
Und wenn sich der Leser von den Pubertätsanfällen der Protagonistin erholt hat und meint, es könne nicht mehr schlimmer kommen, dann hat er seine Rechnung ohne die Autorin gemacht. Denn dann kommt die Geheimwaffe von Baumheiser: Gesas Eltern. Mitfühlend, besserwisserisch und spießig – und dabei völlig unrealistisch angelegt. Sie sind für den Leser eine Neutronenbombe: der Mensch bleibt stehen, aber das Hirn ist weg.
Und dabei habe ich bisher völlig unberücksichtigt gelassen, mit welcher Sprache die Autorin arbeitet. Der WDR nennt es „leicht geschrieben“ und daher perfekt für die Urlaubszeit. Ich würde sagen, selbst die Pitje Puck-Bücher meiner Leseanfängerjahre waren anspruchsvoller. Daher ist das Buch nicht perfekt für die Urlaubszeit, es ist vermutlich nur dann erträglich, wenn man nach einer durchzechten Nacht, mit Schwindel und Übelkeit im Bett liegt und vor dem Licht ausmachen noch einen Satz lesen will – aber bitte bitte nicht mehr als einen. Ein Lektor hätte diesem Werk sehr gutgetan, denn er hätte es abgelehnt. Und ich frage mich, was da beim Kindler Verlag – dessen Publikationen ich sonst sehr schätze – los war? Hatten alle Menschen mit Sprachgefühl Urlaub? Gab es keinen Lektor? Siegte hier Marketing („Oh toll, Bücher über Bücher gehen immer gut“) über Intellekt?
Wie auch immer, ich mache es kurz. Die Buchverliebten bekommt von mir 1 von 10 Unglücksfälle. Und den einen Punkt nur, weil ich ja nicht weiß, was da noch alles kommt. Aber in der Liste der schlechtesten Büchern meines Lebens hat dieses es in die Top 3 geschafft.
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