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berndhinrichs

Gelesen und echte Freunde getroffen – Teil 147




Vor ein paar Tagen hatte ich einen wirklich schönen Abend mit ein paar Freunden. Wir waren zu sechst. Eine Freundschaft, die über viele Jahre gewachsen ist. Am Ende des Abends, als ich gerade wieder zu Hause war, bekam ich eine Nachricht: Da merkt man, dass wahre Freundschaft unabhängig davon ist, wie oft man sich trifft. Was für schöne Worte - und so wahr. Freundschaften sind vielleicht das Wichtigste im Leben. Auch die Literatur beschäftigt sich immer wieder mit diesem Thema. Die mitreißendste Freundschaftsgeschichte kommt allerdings aus den Niederlanden: Harry Mulischs Die Entdeckung des Himmels. Ein Roman, den ich während meiner Buchhändlerlehre zum ersten Mal gelesen habe und dessen Autor ich vor fast 30 Jahren bei einer Lesung erleben durfte.


Die Entdeckung des Himmels ist ein epischer Roman, der Schicksal, Wissenschaft und unerklärliche Kräfte miteinander verknüpft. Im Mittelpunkt des 800 Seiten starken Werkes stehen Onno Quist, ein genialer, aber eigensinniger Sprachwissenschaftler mit schrägem Humor, der sich durch seine unkonventionellen Ansichten und seine Abneigung gegen gesellschaftliche Normen auszeichnet, und Max Delius, ein Astronom mit einer Leidenschaft für das Unbekannte und für Frauen. Ihre zufällige Begegnung führt zu einer tiefen Freundschaft. In einem Antiquariat lernen sie Ada kennen, in die sich beide Männer verlieben und mit der sie nacheinander ein Verhältnis haben. In einer schicksalhaften Nacht in Havanna erleben Ada, Max und Onno einen Wendepunkt, der sie für immer miteinander verbindet. Hinter der menschlichen Geschichte entfaltet sich eine himmlische Mission, die weit über das Alltägliche hinausgeht: Die Engel des Himmels haben den Auftrag, die Tafeln mit den Zehn Geboten zurückzuholen. Was zunächst wie eine Aneinanderreihung von Zufällen und Schicksalsschlägen erscheint, entpuppt sich als Teil eines größeren Plans des Universums. Welche Rolle spielen Ada, Max, Onno und Quinten in diesem kosmischen Spiel?


Mulischs Roman ist sicher vieles zugleich: Liebesgeschichte, Abenteuer und Fantasy. Im Mittelpunkt aber steht die Freundschaft zwischen Max und Onno. Ihr schräger Humor, den Onno vorantreibt, ihr blindes Verständnis füreinander, ihre gemeinsame Liebe zu Ada - im Laufe der Geschichte finden sie sogar heraus, dass sie am selben Tag gezeugt wurden. Sie sind die zwei Menschen im Universum, die füreinander geschaffen sind. Jedes Mal, wenn ich den Roman lese, feiere ich die Freundschaft und das Leben. Es gibt so viele Gänsehautmomente in diesem Werk, dass es schwer ist, einen herauszugreifen. Max und Onno, letzterer in der Verfilmung von 2001 meisterhaft dargestellt von Stephen Fry, sind für mich ein beeindruckendes Beispiel dafür, was Freundschaft auch heute noch bedeuten kann.

Wenn man die vielen Fäden dieser komplexen Geschichte betrachtet, fragt man sich unwillkürlich, wie ein Autor den Überblick behalten kann. Sicherlich hatte er eine Menge Zettel und Karteikarten auf seinem Schreibtisch. Als ich Mulisch 1995 bei einer Lesung kennenlernte, fragte ich ihn in meiner Begeisterung dennoch genau nach seinem System. Er lächelte und sagte, er habe keins. Dumme Frage. Und das war meine Chance, eine gute Frage zu stellen. Chance vertan. Wenigstens habe ich eine Unterschrift in meinem Exemplar.


Mit dem Roman taucht man tief in physikalische oder auch astronomische oder architektonische Themen ein. Mulisch genießt es, seine Protagonisten philosophieren zu lassen. Dabei ist er glücklicherweise Lichtjahre davon entfernt, in ähnlich langatmige Sphären vorzudringen wie etwa Thomas Mann in seinem Zauberberg. Mulisch bleibt in seiner Erzählung stringent und ich hatte nie einen Zweifel daran, dass bei ihm die Geschichte im Vordergrund steht.


Die Entdeckung des Himmels schafft es, Verbindung von Menschen in all ihren Höhen und Tiefen darzustellen, und bleibt eine zeitlose Erzählung über das, was Menschen wirklich zusammenhält. Ich gebe satte zehn von zehn Pantheons.

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