Neulich schlenderte ich durch einen Buchladen und stieß auf das Werk Eruption von Michael Crichton – eine Neuerscheinung. Das ließ mich stutzen, denn den amerikanischen Schriftsteller wusste ich seit 2008 nicht mehr unter den Lebenden. Erstaunt zog ich das Buch aus dem Regal, denn den letzten von ihm halb verfassten Roman Micro, den Richard Preston fertig gestellt hat, hatte ich gelesen. Eruption erscheint bei Goldmann und der Verlag teilte zum Werk aus dem Totenreich mit: Seine Frau Sherri Crichton wusste, wie besonders dieses Buch war, und verwahrte die Notizen und das Teilmanuskript ihres Mannes, bis sie den richtigen Autor gefunden hatte, der es vollenden konnte: James Patterson, den beliebtesten Erzähler der Welt. Mit anderen Worten: Seine Frau brauchte Geld und hat alles zusammengekratzt, was zu finden war, um es von einem großen Namen vermarkten zu lassen. Danke, ohne mich. Da greif ich doch lieber nochmal zu Micro – oder lohnt sich das auch nicht?
In Micro starten wir mit dem Detektiv Marcos Rodriguez. Selbiger dringt in das Gebäude der Firma Nanigen Micro Technologies auf Oʻahu ein, um herauszufinden, wofür gelieferte Bauteile verwendet werden. Kurz darauf beginnt er zu bluten und stirbt. Einige Tage später wird Eric Jansen, der technische Leiter von Nanigen, vermisst. Sein Bruder Peter reist nach Hawaii, um ihn zu suchen, und wird zusammen mit fünf weiteren Studenten von Nanigen-Chef Vin Drake angeworben. Die Firma verwendet Technologie, um Lebewesen extrem zu verkleinern. Peter findet heraus, dass Drake für Erics Verschwinden verantwortlich ist. Nachdem die Studenten auf Miniaturgröße geschrumpft wurden, beginnt ein tödlicher Überlebenskampf gegen Insekten und Nanigen-Söldner.
Klingt nach einem typischen Crichton Roman. Eine wahnwitzige Technologie bringt die Welt für ein paar Menschen aus den Fugen. Das ist in Prey so, das war in Jurassic Park so. Alles sehr fesselnd und spannend. Geschichten zum Verschlingen. Und auch wie bei den anderen Crichton-Romanen steckt viel Wissenswertes in der Fantasie – hat was von Jules Verne. Bei Micro geht es im Wesentlichen um Insekten. Der Autor lässt seine Protagonisten durch den hawaiianischen Urwald laufen – so verkleinert, dass Ameisen wie große Hunde wirken. Zwar habe ich keine Akarophobie, aber beim Lesen musste ich öfters das Internet bemühen, mit der Frage: „Krass, gibt es solche Viecher wirklich?“ Und ja, es gibt sie alle, die Crichton beschreibt. Was sogar beim Lesen im gemütlichen Bett für ungemütliche Kribbelanfälle sorgt.
Micro ist zum größten Teil noch von Crichton persönlich geschrieben. Das Manuskript war fast fertig, so verkündete der Verlag seinerzeit 2011 als es erschien. Preston habe am Ende lediglich die Handlungsfäden aufnehmen müssen und nach den Notizen des Ur-Autors zuende führen müssen. Ob das stimmt oder nicht, weiß vermutlich nur Frau Crichton. Und über ihre Motivation haben wir ja schon eingangs gesprochen. Nach der Lektüre des Romans konstatiere ich, dass Crichton vermutlich eine erste Fassung fast fertig hatte. Es fehlt noch der Feinschliff. Vor allem bei den Charakteren wirkt es noch sehr schablonenhaft. So ist die Einführung der Protagonisten so lächerlich geraten, dass ich beim ersten Lesen dachte, hier handelt es sich um eine Komödie. Gut, die anderen Romane von ihm zeigen, dass er nicht der Großmeister der ausgefüllten Charakterbeschreibungen war. Aber was er in Micro liefert, ist selbst für ihn schwach.
Am Ende ist der Roman sehr spannend, teilweise mit Gänsehautgarantie, gut angelegt, aber vielleicht noch nicht bis ins letzte Detail ausgedacht. Deshalb werde ich mir den Zettelkasten Eruption, ausgeführt vom beliebtesten Erzähler der Welt lieber sparen und gönne mir vielleicht später noch einmal Jurrasic Park. Ich gebe sieben von zehn Hundertfüßler.
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