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  • berndhinrichs

Durchgelesen und einem Schlitzohr gefolgt – Teil 136



„Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so dass ich wohl nur in kleinen Etappen und unter häufigem Ausruhen werde vorwärtsschreiten können), indem ich mich also anschicke, meine Geständnisse in der sauberen und gefälligen Handschrift, die mir eigen ist, dem geduldigen Papier anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem geistigen Unternehmen nach Vorbildung der Schule denn auch gewachsen bin.“ Kaum jemals hat mich ein erster Satz so begeistert wie dieser. Selten hat mir ein erster Satz so deutlich widergespiegelt, was mich auf den kommenden 420 Seiten erwarten würde. Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull – der Memoiren ersten Teil von Thomas Mann: ein wahres Meisterwerk.


In seinem in den Jahren 1910 bis 1913 und zwischen Dezember 1950 und April 1954 entstandenen Roman schildert Mann die Erlebnisse des 40jährigen Felix Krull. Er wurde Mitte der 1870er Jahre im Rheingau geboren. Sein Vater, ein Lebemann und Schaumweinfabrikant, ging bankrott und erschoss sich, bevor Felix volljährig wurde. Felix fand durch seinen Paten Schimmelpreester Arbeit in einem Pariser Luxushotel, wo er als Liftboy anfing und bald zum Oberkellner aufstieg. Ein Hotelgast bot ihm an, die Rollen zu tauschen und an seiner Stelle eine Weltreise anzutreten. Felix willigte ein und reiste im Nachtzug nach Lissabon. Im Speisewagen traf er Professor Kuckuck, dessen Familie er in Lissabon näher kennenlernte. Besonders interessierte ihn die Tochter Zouzou, aber auch das ambivalente Verhältnis zur Mutter. Schließlich küsste Zouzou ihn leidenschaftlich im Garten, bis die Mutter eingriff und die Tochter wegschickte, um Felix selbst zu verführen – hier endet der erste Teil.


Was für ein Werk! Nach Der Zauberberg und Die Buddenbrooks der nächste Roman des großen Schriftstellers, in den ich mich vom Fleck weg verliebt habe. In kaum einem anderen Werk Manns kommt seine Geisteshaltung so gut zum Vorschein wie hier. Sein Ästhetizismus und seine Fabulierkunst, die immer an der Kitschigkeit entlangschrammt, ohne dass der Leser jemals Angst haben müsste in diesen Abgrund zu stürzen, in dem sich so viele der großen Schriftsteller in ihrem Sud wälzen. Nicht so Thomas Mann. Mit seiner feinen, zutiefst ironischen Sprache gelingt es ihm die Leser in seinen Bann zu ziehen. Von der ersten bis zur letzten Seite hatte ich das verschmitzte Lächeln des Zauberers, seine wachen und belustigten Augen im Sinn.


Mit jedem neuen Satz springt einem der Spaß entgegen, den der Schöpfer mit seinem Werk hatte. Umgesetzt als Film entsteht eine Posse über einen Überlebenskünstler. Als Roman ist es aber viel mehr. Mann liefert eine Charakteristik der Gesellschaft in der Hochphase des Kaiserreichs – immer hintersinnig und komisch! Das ist einfach köstlich. Beispielsweise die Musterungsszene von Krull: In der Krull die Militärs erst an der Nase herum- und dann den ganzen allgegenwärtige Militarismus vorführt. Sicherlich wäre allerdings Felix Krull kein Roman von Thomas Mann, gäbe es zwischendrin keine oberlehrerhaften, philosophischen Abhandlungen, etwa über die Entstehung der Erde oder die Liebe im Allgemeinen. Da muss der Leser einfach durch! Selbstverständlich bietet Mann in seinem Erzählen viele Interpretationsansätze. Aber den Roman als Schelmenstück zu lesen und sich an der wundervollen Sprache zu erfreuen ist ein erster Schritt zum Verständnis des Werks.


Unterm Strich hat der Roman vor allem einen großen Nachteil: Es handelt sich hierbei leider nur um der Memoiren erster Teil. Die geplanten Fortsetzungsbände konnte der Literaturnobelpreisträger leider nicht mehr fertigstellen, sodass die angestrebte Weltreise bereits in Portugal ein vorläufiges Ende findet. Dennoch: Zehn von zehn Schiffspassagen.

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