Die 68er haben mich fasziniert, seit ich ein politisch denkender Mensch bin. Damals war die große Protestwelle, die die noch junge Republik erschütterte, gerade einmal 15 oder 20 Jahre her. Ich fühlte mich oft in die falsche Zeit hineingeboren, wäre gerne mit erhobener Faust und Daniel Cohn-Bendit durch die Straßen gezogen, hätte gerne mit Rudi Dutschke diskutiert. Die Schicksale der Studentenführer haben mich beeinflusst. Ebenso der gewaltsame Tod von Benno Ohnesorg 1967. Einer meiner Lieblingsautoren, Uwe Timm, war Teil der Studentenbewegung, hat sie in vielen Romanen thematisiert, beispielsweise in Rot und Heißer Sommer. In seinem autobiographischen Text, Der Freund und der Fremde, erinnert er sich an diese Zeit.
Seine Erinnerungen beginnen im Braunschweiger Kolleg und damit unmittelbar nach Alle meine Geister, dem Teil seiner Erinnerungen, in denen er sich mit seiner Lehrzeit in der 1950er-Jahren beschäftigt. Denn Timms Ambitionen sind andere, als Pelze für die gehobene Schicht zu entwerfen und zusammenzunähen. Er will Schriftsteller werden, sein Leben der Literatur widmen. In Braunschweig gilt es deshalb zunächst einmal das Abitur zu machen. Dort lernt er den zurückhaltenden, vergeistigten Benno Ohnesorg kennen. Gemeinsam diskutieren sie über Literatur und Philosophie – schaffen den Boden und die Saat für das literarische Werk von Timm. Und es wäre auch das von Ohnesorg gewesen, wäre er nicht am 2. Juni 1967 während einer Anti-Schah-Demonstration durch einen Polizisten tödlich verwundet worden. Kugeln aus der Pistole des Zivilfahnders Karl-Heinz Kurras. Aus direkter Nähe abgegeben bildeten sie den Wendepunkt der Studentenproteste. Timm reflektiert in seinen nur 170 Seiten umfassenden Text, welche Folgen die Todesschüsse auf sein Leben, sein Schreiben und auf die Bundesrepublik hatten.
Es sind die prägenden Jahre im Leben des angehenden Schriftstellers. Seine Liebe zur Literatur ist eines der zentralen Themen. Der Text hat mir immer dann besonders viel Spaß gemacht, wenn Timm seine Gedanken zur Studentenbewegung oder zu den Todesschüssen auf Ohnesorg – Opfer, Täter und Zeugen – wiedergibt. Seine Längen hat der Text für mich an den paar Stellen, wo Timm über seine literarisch-philosophischen Grundlagen spricht. Vielleicht war es nicht die richtige Zeit für solche Gedanke bei mir. Was den Text auszeichnet ist seine Authentizität. Man spürt bei jeder Zeile, dass Timm teil der hier beschriebenen Ereignisse war.
Ich gebe acht von zehn Absurditäten.
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