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Durchgelesen und Radio im Buch erlebt – Teil 160

berndhinrichs


Ein Schuber mit drei dicken, fetten Bänden: Siegfried Lenz - Rundfunkstücke.
Ein Schuber mit drei dicken, fetten Bänden: Siegfried Lenz - Rundfunkstücke.

Es ist hinlänglich bekannt, dass Günter Grass dem Jazz verfallen war und als Schlagzeuger sogar in einer Kapelle mitspielte. Das aber Siegfried Lenz Up up and away von den Ray Conniff Singers als seine Lieblingsplatte bezeichnete, den ironischen Unterton bei Me an my shadow von Frank Sinatra und Sammy Davies Jr. mochte oder auch We can work it out und All you need is love von den Pilzköpfen aus Liverpool auf seiner Play-List wären, ist hingegen für mich zumindest neu. Von seinen musikalischen Vorlieben berichtete Lenz im November 1968 beim NDR im Hörfunkstudio, als Gast der Sendung Autoren als Disc-Jockey. Diese kleine Perle ist enthalten den neuen Bänden der Hamburger Ausgabe der Werke von Siegfried Lenz: Rundfunkstücke 1947 – 2008.


Drei fette Bände spendet der Hoffmann & Campe-Verlag den Arbeiten des Schriftstellers für das Radio. Wobei spendet angesichts eines Anschaffungspreises von 180 Euro vielleicht doch das falsche Wort ist. Dafür hält der stolze Besitzer drei voluminöse, bibliophile Bände in den Händen, mit insgesamt 2.736 Seiten Texten, die Lenz fürs Radio geschrieben hat. Das sowohl das Niveau der Texte, als auch die Textgattung sehr uneinheitlich sind, liegt in der Natur der Sache, Neben Hörspielen, Essays oder Würdigungen, hat Lenz auch immer wieder Rezensionen für den Rundfunk geschrieben. Über 150 Texte sind auf diese Weise zusammengekommen – und fast alles sind Veröffentlichungen, die in der alten Werkausgabe gefehlt haben.


Die Herausgeberin der Hamburger-Ausgabe, Dr. Maren Ermisch, hatte im Gespräch mit mir schon festgestellt: „Lenz ist ein Teil der deutschen Rundfunkgeschichte, und das wird dieser Band erstmals zeigen. Dass dafür lange und umfangreiche Recherchen notwendig waren, kann man sich denken.“ Aus einem Band wurden am Ende eben drei. Die Recherchen hat Hans-Ulrich Wagner vom Bredow-Institut in Hamburg (Das Hans-Bredow-Institut (HBI) erforscht den Medienwandel und die damit verbundenen strukturellen Veränderungen öffentlicher Kommunikation) durchgeführt und echte Pionierarbeit geleistet. Er konnte in den Rundfunkarchiven zahllose Schätze heben können.


Die schwankende Qualität der Texte ist insofern bemerkenswert, als der ausführliche Kommentarteil nicht nur Sendetag und Sendezeit mitteilt, sondern eben auch was zur Entstehungsgeschichte sagt. So lässt sich sehr gut nachvollziehen, zu welcher Auftragsarbeit Lenz Lust hatte und zu welcher eben nicht. Hinzu kommt, dass Lenz vor allem in den frühen Hörspielen stark von philosophischem Sendungsbewusstsein getrieben wurde. Es war die Thomas-Mann-Phase des Autoren – zumindest gemessen an der Langatmigkeit dieser Texte.


Alles in allem dürften die drei Bände allerdings hauptsächlich große Lenz-Fans und Wissenschaftler interessieren – und scheinbar mich. Sie geben einen spannenden Einblick in die Entwicklung eines der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit. Ich gebe aufgrund der Einmaligkeit fette 10 von 10 Sendemasten.

 
 
 

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