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berndhinrichs

Durchgelesen, in Vietnam gekämpft und in Afrika überlebt – Teil 127

Aktualisiert: 20. Mai




Joseph Conrad entwickelt sich für mich immer mehr zu einem Lieblingsautor. Nach Lord Jim, der Schattenlinie und der Narcissus habe ich mich nun mit ihm nach Zentralafrika begeben. Im Herz der Finsternis heißt die Novelle von 1899, die als sein Hauptwerk gelten darf und trotz ihrer Kürze das Opus Magnus des Schriftstellers ist. Umso erstaunter war ich, als ich las, dass Francis Ford Coppola den Roman als Grundlage für seinen dystopischen Film Apocalypse now verwendet hat – im Film und im Buch ein Meisterwerk.


Der Ich-Erzähler Marlow schildert seine Fahrt auf dem Kongo. Er wird Kapitän auf einem Flussdampfer einer europäischen Handelsgesellschaft zurzeit des Imperialismus, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Als er von Europa nach Afrika aufbricht, hat er keine Vorstellung von dem, was ihn vor Ort erwartet. In Afrika angekommen, hört er Gerüchte über einen Kurtz, der angeblich Hunderte Meilen stromaufwärts lebt und herrscht. Kurtz ist der erfolgreichste Handelsagent der Gesellschaft. Er liefert unvorstellbare Mengen an Elfenbein und scheint eine charismatische Persönlichkeit zu sein. Trotz aller Widrigkeiten treibt es Marlow den Fluss hinauf, um diesen Mann kennenzulernen. Was er dabei erlebt, wird er sein Leben lang nicht vergessen.


Conrad, der selber Zentralafrika mit dem Schiff bereist hat, verarbeitet einen großen Teil seiner Erlebnisse in der Novelle. Er schildert die Geschichte der Fahrt von Marlow in dem Wissen, wie es tatsächlich in Afrika war. Das ist wichtig zu wissen, denn die Novelle bezieht für die Zeit ihrer Entstehung mit beeindruckender Klarheit Stellung gegen das Verhalten der Europäer in Afrika. Conrad stellt den ganzen Schrecken der kolonialen Herrschaft dar – schonungslos und direkt.


Dabei sind die Parallelen zum Kultfilm von Coppola trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz offensichtlich. Im Roman wie im Film geht es um einen geheimnisvollen Kurtz, der das Ziel einer Reise ist. In beiden überwiegt die mystische Stimmung. Ein Boot und seine Besatzung auf dem geheimnisvollen Weg ins Unbekannte. Überall treffen sie auf Chaos und Irrsinn – beides gipfelt in Kurtz und seiner Herrschaft. Die Beschreibung der indigenen Völker – hier Afrikaner, da Vietnamesen – ist identisch: Sie werden als Wilde beschrieben. Auch die aufgespießten Köpfe, die faszinierende Stimme von Kurtz, der von ihm befohlene Überfall auf das Boot, seine Liebe zur Lyrik und die uneingeschränkte Hörigkeit seiner Gefolgsleute findet sich bei Conrad wie auch bei Coppola. Die Ähnlichkeit der beiden Meisterwerke geht sogar soweit, dass einzelne Zitate übernommen werden, wie beispielsweise der Satz, der Kurtz am Besten charakterisieren soll: Mit diesem Menschen unterhält man sich nicht, man hört zu. Im Roman vom Russen ausgesprochen, im Film vom Kriegsfotographen.


Mit dieser Parallelität hebt Coppola den Stoff von Conrad in die Gegenwart. Aus der ehemals über den europäischen Kolonialismus geschriebenen Geschichte ist eine Novelle über Imperialismus geworden – bis in die aktuelle Gegenwart hinein. Der Stoff der Novelle ist sicherlich keine leichte Kost. Trotz ihres nur geringen Umfanges verlangt sie vom Leser die volle Aufmerksamkeit. Dafür ist auch die metaphorische Sprache verantwortlich. Conrad schildert in starken Bildern, denen zu folgen nicht immer einfach ist.


Neben Uwe Timms Morgana gehört Conrads Im Herz der Finsternis zu den besten Romanen über Kolonialismus, den ich gelesen habe. Zehn von zehn Pilger.

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