Die Herausgeberin der Hamburger Ausgabe der Werke von Siegfried Lenz, Dr. Maren Ermisch, hat in einem Interview mit Lesemeer, ganz klar Position bezogen zum Roman „Die Klangprobe: „Natürlich geht mitunter ein Text auch mal daneben wie etwa `Die Klangprobe´, da versucht Lenz etwas, und es funktioniert einfach nicht, man versteht zwar, was er eigentlich will, aber die Ausführung scheitert, es kommt kein überzeugender Text dabei heraus.“ Ich muss ihr da in einem Punkt widersprechen: ich verstehe nicht, was er eigentlich will.
Aber von Anfang an: In dem 1990 erschienenen Roman erzählt uns Jan Bode von seinem Leben. Der Text ist in der Ich-Form geschrieben. Jan, der Erzähler, ist Mitte 20 und arbeitet als Kaufhausdetektiv. Sein Vater Hans ist Steinmetz und verdient seinen Lebensunterhalt mit Grabsteinen. Früher einmal hat er als Bildhauer gearbeitet, diesen Traum aber zugunsten des bodenständigen Handwerks aufgegeben. Bewegung kommt in das Idyll, als einerseits Jan die Übersetzerin Lone kennenlernt und sich vom Fleck weg in sie verliebt und andererseits, als die Schäden an Steinskulpturen aufgrund von Umwelteinflüssen rapide zunehmen. Es wird alles in Frage gestellt: das Familienidyll und die Arbeit des Vaters. Ein gravierender Schicksalsschlag stellt die Beziehungen zudem auf die Probe – da sind wir aber schon fast am Ende des Romans.
Was bleibt bestehen? Das ist vielleicht die Frage, die Lenz sich beim Schreiben gestellt hat. Dennoch frage ich ganz anders: Siggi, was willst Du uns mit dem Roman sagen? Was hast du uns zu erzählen. Als Leser kam ich mir bei „Die Klangprobe“ ein bisschen vor, wie bei einer Peepshow. Einen kurzen Moment geht eine Sichtsperre auf, ich blicke auf verschiedene Szenerien mit Personen, sie agieren miteinander und auf einmal kann ich nichts mehr sehen. Es gibt keinen wirklichen Anfang, kein Ende.
Hinzukommen meiner Meinung nach ein paar handwerkliche Fehler, die Lenz begeht. Da ist beispielsweise die Party zum norwegischen Unabhängigkeitstag, auf die Jan und Lone gehen. Er hatte sich sehr darauf gefreut. Statt aber zu schildern, wie er, Jan, versucht mit Lone weitervoranzukommen, zu schildern worüber sie reden, was sie macht oder ähnliches, hält sich der Erzähler lange Passagen mit der Schilderung vom Essen auf. Kein 20jähriger, der frisch verliebt ist, achtet auf sowas.
Und dann: Lenz ist, trotz aller Schwächen des Buches ein großartiger Erzähler. Deshalb habe ich den Roman auch nicht weggelegt. Was er hier trotz der miserablen Geschichte abliefert, ist immer noch so viel besser als vieles, was sich sonst so an Literatur in den Läden stapelt. Nur er ist ein Sprachjongleure der alten Schule. So nutzt der Erzähler beispielsweise das Wort „Negerkral“ als Beschreibung für eine Ansammlung von Hütten indigener Afrikaner. Lenz hat es sicherlich völlig vorbehaltlos benutzt. Aber es ist ein altes Wort, dass dann so gar nicht in den Sprachduktus einen jungen Menschen passt, der ein paar Seiten davor schreibt, dass sie alles „zum Kringeln“ fand. Wie denn nun Maestro? Wollen Sie Ihrem Stil treu bleiben oder die Sprache der 1990er-Jahre imitieren. Ich habe den Eindruck, dass Lenz aus diesem Dilemma den ganzen Roman über nicht herauskommt.
Unterm Strich: Wer sich intensiver mit Siegfried Lenz Werk beschäftigen will und die Deutschstunde bereits gelesen hat, der sollte definitiv nicht zur „Die Klangprobe“ greifen. Ich empfehle dann eher „Stadtgespräche“, „Heimatmuseum“ oder „Die Auflehnung“. Ich gebe fünf von zehn Rohblöcke.
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