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Durchgelesen und versucht Alltag zu erfahren – Teil 175

  • berndhinrichs
  • vor 2 Stunden
  • 2 Min. Lesezeit



Wer mir hier schon länger folgt, weiß, dass Romane, die im Nationalsozialismus spielen, immer meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen. Egal ob Jonathan Littells Die Wohlgesinnten, Peter Weiss Die Ermittlung oder auch Siegfried Lenz Deutschstunde. Mich faszinieren die Geschichten über die Henker, über ihre Opfer und über den Alltag der Menschen im 3. Reich. Letzteren Aspekte hat Arno Frank in den Mittelpunkt seines Romans Ginsterburg gestellt.  Das für das Buch im Feuilleton fast nur lobende Worte zu finden sind, hat meine Neugier angestachelt und ich habe mich voller Erwartungen auf die Zeitreise begeben.


Frank legt eine Lupe auf den Ort Ginsterburg. Wir lernen ein Kleinstadtidyll kennen und seine Einwohner. Beispielsweise die Buchhändlerin Merle und ihren Sohn Lothar, der vom Fliegen träumt. Während Merle an der immer rigideren Kulturpolitik verzweifelt, sucht Lothar sein Glück bei der HJ. Aber egal ob Metzger, Lokaljournalist, Art oder Blumenhändler. Jeder versucht zu überleben und für sich das Beste rauszuholen. Frank blickt im Fünf-Jahres-Rhythmus – 1935, 1940 und 1945 – auf Ginsterburg und seine Menschen. So will er Lebensläufe und Entwicklungen darstellen.


Der Plot des Romans ist genial. Durchschnittsmenschen, wie man sie überall auf der Straße trifft, werden ans Licht, auf die Bühne gezerrt, in einer Zeit, die nur aus Dunkelheit besteht. Wie konnte im Vorhof der Hölle Alltag funktionieren? Das ist die Frage, die Frank über seinen Roman geschrieben hat – wie ein Motto. Nach der Lektüre der ersten 100 Seiten bin ich geneigt zu glauben, dass der Autor der Auffassung ist, dass „mit Langeweile“ die passende Antwort wäre. Denn genau dass ist es, was Frank dem Leser zu bieten hat.

Und das ist so verdammt schade. Ich wäre so gerne mit ihm auf Entdeckungstour gegangen, hätte gerne erfahren, wie eine Mutter versucht ihr Kind vor der HJ zu schützen oder wie ein Blumenhändler versucht seinen Einfluss für mehr Profit geltend zu machen – ganz normale Menschen eben. Vielleicht zu normal. Frank schildert den Alltag – ohne Vorkommnisse. Mit dem Rad unterwegs durch Ginsterburg, Alltag in einer Lokalredaktion. Frank schafft es jeder Handlung das Besondere abzusprechen. Seine Charaktere bleiben für den Leser uninteressant, seine monotone Sprache klingt in meinem Kopf wie vom Sprecher eines einschläfernden Hörbuch vorgetragen. Apropos Sprache: Wenn der Inhalt einen schon einschlafen lässt, sollte zumindest die Sprache Interesse wecken. Frank ist Journalist. Das merkt man seinem Text an. Ihm fehlt das Besondere. Sprache ist hier nicht Teil des Kunstwerkes – falls Ginsterburg überhaupt eines ist – sondern dient ausschließlich der Informationsweitergabe.


Auf Ginsterburg habe ich mich sehr gefreut, nachdem ich den Klappentext gelesen habe. Das Buch hat mich auf ganzer Linie enttäuscht. Für die Idee zum Plot gibt es aber immerhin zwei von zehn Wahrsagerinnen.

 
 
 

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