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Durchgelesen und wieder eine Reha gemacht – Teil 159

berndhinrichs



Der Zauberberg von Thomas Mann gehört sicherlich zu den intensivsten Leseerlebnissen, die ich bisher hatte. Das gilt sowohl für den Umfang des Werkes, für seine Erzählweise und sein Erzähltempo, aber vor allem für seine Intensität. Und ich gebe gerne zu, dass ich etwas zusammenzuckte, als ich erfuhr, dass Heinz Strunk, von dem ich bisher nur Ein Sommer in Niendorf gelesen hatte, einen Roman mit dem Titel Zauberberg 2 veröffentlichen wird. Von dem Zeitpunkt an hatte ich noch rund vier Monate, um mich auf dieses Datum vorzubereiten. Aber reichte die Zeit aus?


Das Setting bei Strunk ähnelt dem bei Mann. Doch statt Hans Castrop begleiten wir Jonas Heidbrink in ein privates Sanatorium. Statt in Davos landen wir in der Uckermark. Aber sonst ist vieles ähnlich. Wir begleiten Heidbrink bei seinen täglichen Anwendungen – statt Liegekuren gibt es Musik- oder Gesprächstherapien – und lernen seine Mitpatienten kennen. Strunk beschreibt eine morbide Umgebung, die im Winterwetter festzustecken scheint, denn die Sommermonate werden in dem Roman bei weitem nicht so umfangreich beschrieben, wie die Schneelandschaften der dunklen Jahreszeit. Zauberberg 2 ist ähnlich wie – ich scheue mich das Wort Vorläufer zu Papier zu bringen – der Mann-Roman kein spannendes Buch mit einer mitreißenden Story. Es plätschert gemächlich dahin und hat mich dennoch nicht losgelassen.


Die Faszination von Zauberberg 2 geht zu einem Teil von dem Spiel mit dem Roman von Thomas Mann aus. Ich habe Spaß daran gehabt Parallelen zu suchen und diese auch zu finden. Der Schnee und Heidbrinks emotionale Grenzerfahrung gab es auch bei Castrop, als er sich im Schneesturm verirrte und er von Traumbildern geplagt wurde. Das Erzähltempo – die erste Woche nimmt fast die Hälfte des Buches ein, der Rest verläuft schneller –, die Bedeutung der Mahlzeiten, bei Mann im opulenten Speisesaal eingenommen, bei Strunk im kümmerlichen Speisetrakt, als zentraler Lebensmittelpunkt und Taktgeber der Patienten: alles Motive, die es auch bei Mann gab.


Aber – und das darf nicht unter den Tisch fallen – ebenso wie der Literaturnobelpreisträger dehnt sich der Roman von Strunk, der aber mit nur 270 Seiten glücklicherweise um einiges kürzer ist als der Mann-Roman. Zauberberg 2 als Hörbuch eingesprochen sollte eine prima Einschlafhilfe sein. Klingt gemeiner als es gemeint ist, denn was Strunk ganz famos beherrscht, sind die Personenbeschreibungen. Es gelingt ihm die Insassen des Sanatoriums plastisch und authentisch darzustellen. Dafür bedient er sich einer Fülle an ungewöhnlichen Beispielen und wählt eine Sprache, die Strunk als wahren Wortakrobat auszeichnen. Zudem garniert er seinen Wortwitz mit vereinzelten Biographien zu Patienten oder Pflegern, die sie alle als gescheiterte Existenzen des 21. Jahrhunderts charakterisieren. Wie immer bei Strunk: Für Schönheit ist kein Platz.


Strunks Sprache und seine intensiven Schilderungen geben dem Roman – trotz aller Längen – am Ende einen guten Abgang. Ich hebe sieben von zehn Vitalwerten.

 
 
 

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